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Ich muss zugeben: Anfangs stand ich Mass Effect noch ziemlich skeptisch gegenüber. Meine PC-Rollenspieltage sind lange vorbei und trotz der Qualität der alten Bioware-Spiele konnte mich keines so richtig packen. Baldur's Gate war nichts für mich, mit KotoR konnte ich nicht viel anfangen und auch bei Jade Empire war schnell Schluss. Dennoch habe ich Mass Effect seit der ersten Ankündigung immer im Hinterkopf behalten: Als großer SciFi-Nerd und Star Trek-Fan sah das Spiel einfach zu verlockend aus. Großartige Nextgen-Optik und mächtig cooles Design, entschlacktes Gameplay gegenüber KotoR, lange Spieldauer ... hörte sich doch alles ganz gut an. Nachdem die ersten Japano-RPGs der 360 wie Blue Dragon, Enchanted Arms und Eternal Sonata doch hinter meinen Erwartungen zurückblieben habe ich Mass Effect dann eine Chance geben, und was muss ich sagen ... ich war von den Socken.
Mass Effect versetzt euch in die Rolle von Commander Shepard, dem ersten Offizier eines experimentellen Raumschiffs in der fernen Zukunft. In diesem Zeitalter wurden die Menschen von Aliens entdeckt und eingeladen, dem großen Zentralrat des Universums beizuwohnen. Ganz so richtig herrscht aber noch kein Vertrauen in die Menschheit und es liegt an euch, mit diesen Vorurteilen aufzuräumen ... oder sie zu bestätigen. Hier kommt die von Bioware groß propagierte "Entscheidungsfreiheit" ins Spiel. Wer genau Shepard ist wird nämlich komplett von euch selbst bestimmt. Ob Mann oder Frau, hässlich oder hübsch, braver Pfadfinder oder miesgelaunter Bastard, ihr könnt Aussehen und Verhalten nach eurem eigenen Gusto festlegen. In den zahlreichen Gesprächen werden euch nach klassischer Adventure-Art Multiple-Choice Antworten vorgegeben, welche ihr nehmt kann den Ausgang der aktuellen Situation komplett in eine andere Richtung lenken. Dies alles ist im Endeffekt zwar mehr "Show" als denn die richtige Freiheit die versprochen wurde, aber dazu später mehr.
Angesichts der vielen neuen Ideen in Mass Effect ist der eigentliche Plot fast schon angenehm simpel. Fiese Aliens, eine großangelegte Verschwörung, harte Gefechte mit knalligen Spezialeffekten ... für all dies scheinen diverse Filme und Serien Pate gestanden zu haben. Insbesondere Fans von Babylon 5 werden sich gleich heimisch fühlen: Eure zentrale Anlaufstelle ist die "Citadel", eine große Raumstation, auf der sich alle möglichen Spezies versammelt haben und politische Intrigen spinnen. Dazu passen auch Design und Musik wie die Faust aufs Auge. Durch die hochauflösende Xbox360-Optik sehen die Aliens schön abgedreht aus, Mimik und Gestik machen das Ganze richtig lebendig, der Sound scheint direkt aus einer pompösen Film-Produktion zu stammen. Die Entwickler haben jedenfalls perfekt getroffen, wie ein spielbarer SciFi-Film auszusehen hat und soviel Liebe zum Detail bewiesen, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Eins mit Sternchen.
Kommen wir zum eigentlich Spielablauf. Dort hat sich, trotz aller Innovation, eigentlich relativ wenig gegenüber Knights of the Old Republic verändert. Die Star Wars-Lizenz ist zwar nicht mehr vorhanden, aber im Grunde schart ihr hier wie dort wieder mal eine Gruppe ambitionierter Individuen um euch, mit denen ihr euch durch diverse Situationen kämpft und debattiert. Durch das Dialogsystem Reihenfolge eurer Aufträge kommt zwar viel Individualität ins Spiel, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass ihr trotzdem ein ziemlich geradliniges Abenteuer vor euch habt. Klar, man kann sich massig Hintergrundwissen aneignen und viele Subquests absolvieren, diese spielen sich aber fast alle gleich und bieten neben Erfahrungspunkten kaum Neues. Dadurch bleibt unterm Strich ein knapp 15-stündiges Abenteuer übrig, was dem geneigten RPG'ler vielleicht etwas kurz erscheinen mag, aber das macht nichts. Wer sich nicht ständig ablenken lässt kriegt so eine dicht-gewebte Story vorgesetzt, klar strukturiert vom spannenden Anfang bis zum pompösen Finale. Dazu sind mehrere Durchgänge fast schon Pflicht, denn wer will nach einem Leben in Rechtschaffenheit nicht mal probieren, wie es sich "auf der dunklen Seite der Macht" so lebt?
Der größte Unterschied gegenüber KotoR findet sich im Kampfsystem wieder. Dort wurden die Rollenspiel-Elemente auf ein Minimum zurückgefahren und gegen einen vollwertigen 3rd-Person Shooter ausgetauscht. Ganz im Stile squad-basierter Spiele wie Rainbow Six oder Ghost Recon ballert ihr euch in Echtzeit durch unzählige Gegnerhorden. Natürlich wird das Niveau der hochpolierten Genre-Könige dabei nicht erreicht, aber die Shooter-Parts funktionieren erstaunlich gut und sind dank moderat abgestufter Schwierigkeitsgrade selbst für Ballermuffel gut zu meistern. Ich empfand die Kämpfe nach etwas Eingewöhnung jedenfalls als ziemlich gut, sie bringen ordentlich Tempo ins Gameplay und sobald man Umgang mit Crew, Waffen und Magien drauf hat, ist's ein Riesenspaß. Apropos Magie: Damit nicht nur geballert wird gibt es bestimmte Charakterklassen, die euch mit den sogenannten biotischen Kräften austatten. Mit denen könnt ihr frei nach Jedi-Art die Knarre Knarre sein lassen die Aliens per Gedankenkraft durch die Luft schleudern. Einziger Wermutstropfen hier ist das etwas überkomplizierte Item-Management, seine Charaktere auszurüsten artet manchmal in etwas zu viel Arbeit aus.
Von der technischen Seite aus gesehen möchte ich eigentlich nicht viel an Mass Effect mäkeln, da Design und Atmosphäre wie erwähnt wirklich erste Sahne sind. Dennoch gibt es da einige Kleinigkeiten, die am Gesamteindruck zehren. Man erkennt beispielsweise deutlich, dass die Grafikengine an die Xbox360-Versionen ohne Festplatte angepasst werden musste. Ständig wird nachgeladen, das Laufwerk knarzt und knattert fröhlich vor sich hin, und oft kommt das Spiel einfach nicht mit. Das Ergebnis sind viele kleine Ruckler, hereinploppende Texturen und schlecht kaschierte Ladezeiten, welche doch am Spielgefühl zehren. Dazu ist die deutsche Lokalisation nicht ganz so gut wie sie es eigentlich sein sollte. Natürlich sollte man es Microsoft hoch anrechnen, für ein weltweit gleichzeitig veröffentlichtes Spiel eine deutsche Synchro am Start zu haben, aber insbesondere in den Nebenrollen sind lustlos heruntergelesene Texte an der Tagesordnung. Klar, das lässt sich in einem Spiel wo fast jeder Dialog (!) vertont wurde kaum vermeiden, aber das englische Original mit diversen Hollywood-Sprechern trägt einfach enorm zur Stimmung bei und ist wegen Platzmangel nicht in der deutschen PAL vorhanden.
Insgesamt kann man Mass Effect aber seine Schnitzer nicht wirklich vorhalten. Die groß-propagierte Entscheidungsfreiheit ist eigentlich keine, das versprochenen Universum besteht aus zwei Dutzend karg designter Planeten und technische Unzulänglichkeiten drücken auf die Stimmung, aber dies alles wird mehr als wieder wettgemacht. Die Production Values sind, man verzeihe mir den lahmen Spruch, vom anderen Stern und sprechen jeden an, der sich auch nur entfernt für SciFi interessiert. Die 3rd Person-Shooter Parts funktionieren ebenfalls ohne größere Probleme und der spannende Plot lenkt zum wohl spektakulärsten Finale der aktuellen Videospiel-Generation hin. "Konzentriertes Zocken" ist dabei das Stichwort, denn wer Mass Effect als 200-Stunden Epos angeht, wird einfach nicht glücklich. Alle anderes geniessen einen knackigen Shooter / Rollenspiel-Mix und gehen heiße Alien-Bräute knattern ...
Fazit : Den Appeal von Mass Effect in einen Satz zusammenzufassen ist nicht schwer: Im Grunde genommen ist Mass Effect ein hoch-qualitativer Hollywood-Streifen zum Nachspielen ... mit allem was dazugehört. Neuland wird hier nicht betreten: Aliens sind fies wie eh und jeh, hinter allem steckt eine riesige Verschwörung und Probleme lassen sich gerne mit Waffengewalt lösen. Aber das ist auch das Schöne dran: We auch nur ansatzweise auf SciFi steht wird sich sofort heimisch fühlen. Das Gameplay leidet unter kleinen Unzulänglichkeiten wie gehaltlosen Subquests und technischen Problemen, die werden aber durch Stimmung und Gameplay-Innovationen wieder aufgefangen. Ein klarer Must-Have.
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