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Zwar wuchs die MegaTen-Serie unter Atlus Flagge schneller als ein Krebsgeschwür, seltsamerweise allerdings oft nur um Spinoffs, während die Hauptserie nach Shin Megami Tensei II geschlagene 9 Jahre und zwei Konsolengenerationen warten musste, um mit Shin Megami Tensei III: Nocturne in die nächste Runde zu gehen. Atlus USA, die bisher Last Bible, Persona und eines der beiden Persona 2 in den Westen gebracht hatten, blieben allerdings erstaunlich ruhig. Doch als ein knappes Jahr nach dem japanischen Originalrelease eine um zusätzliche Dungeons, Bosse etc. aufgemotzte Version erschien, wurde erfreulicherweise doch eine westliche Veröffentlichung eben jeniger angekündigt. Dank des neu gegründeten Ghostlight bekam sogar PALien sein Serien-Debüt, aus rechtlichen Gründen allerdings mit dem neuen Untertitel Lucifer’s Call.
Die Story bleibt dabei thematisch auf bewährtem Terrain. Bereits eine knappe halbe Stunde nach dem Spielstart im modernen Tokyo klopft auch schon die Apokalypse an der Tür. Anschließend erwacht man in der Vortex-Welt, sozusagen ein Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt der Welt, in der lediglich Dämonen dauerhaft überleben – weswegen der Hauptcharakter auch prompt zu einem gemacht wurde. Der Rest des Spieles besteht daraus, dass man sich durch die Trümmer der Welt schlägt, auf diverse Charaktere/Gruppierungen trifft, die die neue Welt nach ihrem Ideal erschaffen wollen und sich letztendlich einer oder auch keiner dieser anzuschließen um in einem von insgesamt 6 Enden die Wiedergeburt der Welt, für die man steht, einzuleiten.
Und diesmal gibt es wirklich kein Manko mehr im Erzähltempo der Geschichte. In regelmäßigen Abständen stolpert man in neue Storybrocken und Infos, irrt dazwischen weder ewig durch irgendwelche Labyrinthe noch wird man – trotz der stark philosophisch angehauchten Geschichte – alle fünf Minuten mit halbstündigem leeren Gerede zugemüllt. Es gibt zwar keinerlei Charakterinteraktion innerhalb der Gruppe, da in dieser eben keine Menschen zu finden sind, umso spezieller wirkt es dadurch aber, wenn man endlich irgendwo auf einen der wenigen menschlichen Überlebenden trifft - kann es kaum erwarten zu erfahren, welchem Ideal dieser nun folgt.
Das Gameplay ist in seinen Grundzügen gleich geblieben, wurde aber ordentlich entrümpelt und aufgemotzt. Es gibt immer noch zufallsgenerierte und rundenbasierte Kämpfe. Neu dabei ist das so genannte Press-Turn-System. In ihm bekommt jedes Gruppenmitglied pro Runde ein Aktionsicon gewährt. Nutzt die gewählte Attacke nun aber den Schwachpunkt des Gegners aus oder ist ein Critical, wird nur das halbe Icon verbraucht, was dazu führt das im Idealfall acht anstatt vier Mal pro Runde angegriffen werden kann. Ist die Attacke allerdings ineffizient, weil sie daneben geht oder der Gegner sie absorbiert, werden einem Icons abgezogen. Das gilt nicht nur fürs eigene Team, sondern auch für die Gegner. Das A und O ist also eine taktisch kluge Auswahl an Dämonen mitzunehmen, die die Schwachpunkte der Gegner ausnutzen, dabei aber keine gegenüber deren Attacken haben. Das trifft ebenfalls auf den Hauptcharakter zu, dem man Magatama ausrüsten kann. Ähnlich wie die Personae aus gleichnamigem Spinoff führen diese zu verschiedenen Statusboni, Schwachpunkten und Stärken. Außerdem werden von ihnen die Skills gelernt, die zwar auf dem Hauptcharakter übergehen, wodurch er sie auch noch nutzen kann nachdem das Magatama ausgewechselt ist, allerdings nur maximal 8 gelernt werden können und für jeden weiteren dann ein voriger unwiderruflich gelöscht werden muss.
Dämonische Mitstreiter werden wie immer per Talk-Funktion angesprochen und so dazu überredet sich dem Team anzuschließen, vorausgesetzt man beantwortet ihre abstrusen Fragen richtig lässt die nötigen Bestechungen rüber wachsen und der Mond steht günstig. Auch können sie wieder miteinander zu neuen Dämonen fusioniert werden. Neu hinzu kommt das Demon Compendium, in das man sie eintragen kann, wodurch sie jederzeit ohne umständliches Ansprechen wieder erneut beschwört werden können, sofern man das nötige Kleingeld hat. Das lästige Magnite-System wurde glücklicherweise aufgegeben.
Was den Schwierigkeitsgrad angeht bekommt man gleich zu Spielbeginn die Auswahl zwischen Normal und Hard selbst aufgebürdet. Und auf Normal ist das Spiel im Gegensatz zu seinen Vorgängern auch auf einem sehr angenehmen Niveau. Man wird hin und wieder sterben, sicherlich… vor allem durch die diversen Instant-Death-Attacken im Spiel gekoppelt mit der Tatsache, dass der Tod des Hauptcharakters sofortigen Game Over bedeutet und auch einige knackige Bosse werden nicht unbedingt beim ersten Anlauf zu schaffen sein. Das liegt aber in der Natur des Press-Turn-Systems und sobald man seine Zusammenstellung aus Magatama/Dämonen/Skills dem jeweiligen Spielabschnitt und Bossgegner angepasst hat, hat man in den meisten Fällen auch plötzlich leichtes spiel, wenige cheape Bosse wie z.B. Matador mal ausgenommen. Dazu sind die Dungeons zum Glück keine stundenlangen Labyrinthe mit tausenden Fallen mehr. Ihre Größe ist nun überschaubar, in regelmäßigen Abständen gibt es Speicherpunkte (mindestens nahe dem Eingang und nahe dem Boss je einer) und diverse Fallen und Rätsel halten sich im Rahmen. Sicherlich ist Nocturne trotzdem noch im oberen Schwierigkeitsspektrum der PS2-RPGs, wer gar vorher Spiele wie Final Fantasy X, Grandia II oder Kingdom Hearts 2, die ja nicht mal versuchen einem einen Stein in den Weg zu legen, gespielt hat, wird sich wohl erst Mal bei Nocturne in sehr kaltem Wasser wieder finden. Wer allerdings richtige Oldschool-Brocken gewöhnt ist, vorher vielleicht sogar die SNES-Vorgänger gespielt hat, wird bei Nocturne eher zu einem entspannten Aufatmen neigen.
Auch technisch erhebt sich Nocturne weit über die oft doch eher im Low-Budget-Bereich anzusiedelnden Vorgänger der weitläufigen Serie. Für 2003 sieht das Spiel einfach Top aus und die illustren Designs von Kazuma Kaneko wurden noch nie so beeindruckend und stilsicher in Szene gesetzt. Cel Shading verhilft ihnen viel besser in ein 3D-Gewand als die ersten Versuche in Maken X/Shao und SMT Nine das konnten. Lediglich die Oberweltkarte ist gewohnt schlicht gehalten, aber was gibt’s in einer postapokalyptischen Stadtwüste auch schon groß zu sehen. Außerdem ist nicht jedes Dungeon gleich spektakulär, alte U-Bahn-Schächte sehen natürlich nicht so cool aus wie Dämonenhorte. Dazu kommt ein gewohnt guter Soundtrack, dessen Stärken eher wieder in den rockigeren Stücken zu finden sind denn in den stellenweise vorkommenden Ambiente-Geräuschen.
Fazit : Die Serie hat in 9 Jahren ordentlich dazu gelernt. Die früheren Stärken eines interessanten Konzepts, philosophischer Story und toller Designs wird auf der PS2 endlich zum richtigen Erzähltempo, guter technischer Präsentation und einem launigen und nicht übertrieben brutalen Gameplay verholfen. Nocturne ist somit für mich einer der besten Teile in der Serie und eines der besten RPGs seiner Konsolengeneration.
Schön vor allem, wie frisch das Spiel doch gegenüber dem vielen Einheitsbrei der Generation ist. Eine interessante Geschichte, die eben nicht aus stundenlangem pseudo-philosphischen Gebrabbel besteht, nicht wie eine übertriebene Seifenoper daher kommt, keinen übers Knie gebrochenen Liebeskitsch enthält. Ein Gameplay das ein eingeschaltetes Gehirn erfordert, bei dem der Dauerdruck auf die X-Taste schnell zum Game Over führt, bei dem so was wie die Fluchtoption nicht nur dekorativem Zweck dient. Nocturne ist anders als vieles seiner Konsolengeneration, und zwar besser.
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