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Review der PAL-Version


von Azazel

 
 

 
  Dreamcast-Besitzer hatten es nicht gerade leicht. Nicht nur, dass SEGA durch zahlreiche Hardware-Fehlinvestitionen arg gebeutelt waren. Der schwere, weisse 128-Bitter verschwand mangels ausreichender 3rd-Party-Unterstützung auch noch viel zu schnell von der Bildfläche, ohne auch nur ansatzweise am Thron der Konkurrenten Sony & Co. gerüttelt zu haben. Als mit Einführung von Playstation 2 und XBox schließlich die neue Konsolen-Generation eingeläutet wird, ist SEGAs Flagschiff so gut wie am Ende. Trotz dem schnellen Aus können Dreamcast-User auf eine beachtliche Anzahl an tollen Titeln zurückblicken, darunter auch zahlreiche Umsetzungen bekannter Arcade-Hits wie Daytona, Virtua Tennis, House of the Dead, etc. Unter allen erschienenen Games muss zweifelsohne auch Shenmue hervorgehoben werden. Als gegen Ende 2000 das 3 GDs umfassende Mammutprojekt veröffentlicht wurde, staunten die erregten Gemüter nicht schlecht. Unter der Genreumschreibung Full Reactive Eye Entertainment, kurz FREE, erschien ein beeindruckendes Action-Adventure und gab somit den Auftakt für das als Trilogie geplante, selbsternannte Lebenswerk von Yu Suzuki, seines Zeichens bedeutender japanischer Gamedesigner und ehemaliger Präsident der Edel-Spieleschmiede AM2. Atemberaubende Präsentation, eine spannende Story sowie eine noch nie dagewesene Interaktivität mit der Spielwelt zeichneten diesen Kracher aus, und so war es auch nicht verwunderlich, dass ein knappes Jahr und unzählige Lobeshymnen später, im November 2001, der zweite Part der Serie veröffentlicht wurde. Diesmal sogar auf 4 (!) umfangreichen GDs. Was der Nachfolger zu bieten hat, welche Neuerungen und Änderungen vorgenommen wurden und wie das Game abschneidet, soll mit diesem Review erleutert werden...

Hong Kong, ahoi!

Ryo Hazuki ist noch lange nicht am Ende seiner Nachforschungen angelangt. Am Ende des ersten Teils konnte er mit Hilfe seiner Freunde im Hafen von Yokosuka sein Bootticket einlösen, um Lan Di, dem Mörder seines Vaters nach Hong Kong zu folgen und das Geheimnis um den sagenumwobenen Phönix-Spiegel zu lüften. Genau hier beginnt das Game,...ähm..oder sollte ich lieber Film sagen,...denn schon der Anfang ähnelt eher einem Vorspann aus berühmten Blockbustern. Dies ist jedoch keinesfalls als negativ zu bezeichnen, denn präsentations-technisch ist hier wirklich ein kleines Kunstwerk entstanden. Anhand eine eindrucksvollen Sequenz verfolgt ihr die letzten Minuten der Schifffahrt und beobachtet schließlich, wie Ryo am Pier in Aberdeen von Bord geht. Ab hier übernehmt ihr die Kontrolle über den sympatischen Japaner und schon nach einigen Sekunden stellt man fest, dass am Steuerungskonzept kaum etwas verändert wurde. Wer den Vorgänger kennt, fühlt sich in Shenmue II sofort heimisch. Mit dem Digi-Kreuz wird Ryo bewegt, die Gegend könnt ihr mit dem Analogstick erkunden und mit den analogen Schultertasten L und R wird gezoomt bzw. gerannt. Bisher lassen sich also keine nennenswerten Neuerungen feststellen. Dies ändert sich jedoch bei der Bedienung der vier bunten Actionknöpfe X, A, B und Y. Wurden im Vorgänger die Hauptaktionen wie Reden, Abbrechen, Gegenstände aufnehmen, etc. nur den A- und B-Knöpfen zugeordnet, bekommt im Shenmue-Sequel jede Taste eine oder mehrere Aktionen zugewiesen. Dabei ließen sich die Schöpfer anscheinend ein wenig vom genialen 64-Bit-Zelda ‚Ocarina of Time‘ inspirieren. Während der B-Taste wieder die Backshift-Funktion zuteil wurde, werden mit der X-Taste – je nach verfügbarer Aktion unterscheidet sich das Symbol - Gegenstände inspiziert sowie Tagebuch und Türen geöffnet, der A-Knopf dient zum Anreden von Personen und mit dem Y-Button können sogar Gespräche über Geld geführt werden. Getreu dem Motto ‚Ohne Moos, nix los‘ ist dies ist im späteren Handlungsverlauf auch dringend vonnöten. Hong Kong ist ein teures Pflaster und da bekanntlich nur der Tod umsonst ist, und er von nun an auf die tägliche Finanzspritze seiner Haushälterin verzichten muss, muss sich Ryo darum kümmern, dass wieder Kohle in seine Taschen fließt. Dies kann er nun jederzeit tun. Seit ihr knapp bei Kasse, könnt ihr mit Hilfe des Y-Buttons die Bewohner nach Teilzeitjobs, Glücksspielen oder Straßenkämpfen fragen. Je nach Laune könnt ihr also z.B. mit Kistenschleppen oder Armdrücken euer Taschengeld aufbessern.

Nachwuchs-Sherlock-Holmes

Da die Ermittlungen, wie schon erwähnt, noch lange nicht abgeschlossen sind, verbringt ihr den Großteil des Spiels damit, durch geschicktes Erfragen den Mord an Ryo’s Vater zu ergründen. Durch zahlreiche Gespräche mit den Bewohnern der Stadt oder auch den Schlüsselfiguren, die euch mit ihrer Hilfe zur Seite stehen, erfahrt ihr nach und nach mehr über die Hintergründe. Wichtige, für den Storyverlauf essentielle Informationen werden wie im Vorgänger in Ryo’s Tagebuch – diesmal sogar in deutsch - vermerkt, wobei beim Öffnen immer der zuletzt eingetragene Vermerk angezeigt wird. Dieser Aspekt mag zwar für den Schwierigkeitsgrad nicht gerade förderlich sein – Shenmue besitzt quasi so gut wie keinen – setzt euch dafür aber nie der Gefahr des Leerlaufs aus. Frustige Stellen findet man vergebens und die Handlung wird konstant weitergeführt, was der Motivation und letztendlich dem Spielspaß zu Gute kommt. Zahlreiche Kampfeinlagen, sogenannte Free-Battles lockern die, zugegebenermaßen manchmal etwas eintönige Detektivarbeit etwas auf. So müsst ihr euch ganz in Virtua-Fighter-Manier gegen allerlei Abschaum und Kleinganoven erwehren oder werdet von freundlich gesinnten Karate- oder Kung-Fu-Meistern zum Sparring aufgefordert, wodurch ihr neue Special-Moves erlernen und so euer Move-Repertoire erweitern könnt.

Da die zu erforschende Spielwelt im zweiten Teil um einiges – roundabout drei- bis viermal – größer ist als in Shenmue, passiert es nicht selten, dass man sich in den verwinkelten Stadteilen und den engen Gassen verfranzt. Hier kommt eine weitere Neuerung ins Spiel. Habt ihr Geld bei euch könnt ihr an einigen Ecken Karten für die einzelnen Teilbereich erstehen. Diese werden fortan, vorausgesetzt ihr befindet euch im jeweiligen Bezirk, im linken unteren Teil des Screens als grün-leuchtender Bereich angezeigt und rotieren bei eurer Suche sogar automatisch mit. Weiterhin könnt ihr jederzeit und an jeder Stelle eine Markierung setzen. Dazu habt ihr nach Drücken des B-Buttons die Wahl zwischen einem roten, gelben oder blauen Kreuz. So könnt ihr wichtige Orte, wie z.B. eine Unterkunft markieren, um euch den Weg dahin zurück zu erleichtern. Wirklich eine praktische und sinnvolle Erweiterung.

Da Ryo ein ganz normaler Junge ist, unterliegt er nätürlich den Gesetzen der Natur, will heißen, spätestens um 23:00 Uhr heißt es *Zapfenstreich*. Ryo geht zu Bett und eure Ermittlungsarbeit muss bis zum nächsten Tag warten. Wie im Vorgänger habt ihr jedoch auch in Shenmue II keine Eile mit eurem Anliegen, sondern könnt ruhigen Gewissens auch mal ein paar Tage den Schlendrian in euch rauslassen. Hier kommt wieder die einmalige Interaktivität zum Tragen. Gesetz dem Fall die Kohle stimmt, könnt ihr euch an unzähligen Glücksspielen versuchen, steckt euer Geld in Getränke-, Arcade- oder Dartautomaten oder verplempert eure Zeit mit dem Sammeln der beliebten Toy-Capsule-Figuren rund ums SEGA-Universum, die ihr diesmal in Pfandhäusern sogar veräußern könnt. Diese Art der Freizeitgestaltung hat für den Spielverlauf zwar keinerlei Bedeutung, aber wie ihr seht, wird es auch abseit der Haupthandlung nicht langweilig.

Seit ihr beim Erforschen wieder ein kleines Stückchen weitergekommen oder steht ein wichtiges Ereignis an, wird die Story durch Cutscenes weitererzählt, in denen ihr mehr über das Leben einiger Charaktere erfahrt, wichtige Informationen und neue Moves erhaltet oder in denen einfach nur über Gott und die Welt geschwafelt wird (...hier seien besonders die witzigen Dialoge zwischen den beiden Streithähnen Ren und Ryo angemerkt...). Filmreifer und atmosphärischer kann man glaube ich kein Spiel umsetzen.

Die QTE’s – Fluch oder Segen

Wieder mit von der Party sind die sogenannten Quick-Time-Events, kurz QTEs. Wie schon im Erstling kommt es dabei auf schnelle Reaktionen und flinke Finger an. An bestimmten Stellen wird, wie bereits erwähnt die Storyline von Cutscenes weitergesponnen und da die Sitten im von Kriminalität verseuchten Hong Kong etwas rauher sind als in Nippon-Gefilden, gerät unser Ryo nicht gerade selten an zahlreiche böse Buben, die vorallem auf eines aus sind...Streit! Wird er angegriffen, wird entweder die zu drückende Taste durch aufblinken eingeblendet oder die Action wird für einige Sekunden eingefroren. In letzterem Fall ploppt eine Tastenkombination auf den Bildschirm, die ihr möglichst schnell eingeben solltet, wollt ihr nicht zusehen wie Ryo verdroschen wird. Doch nicht nur bei Schlägereien, sondern auch bei anderen Situationen kommen die QTEs zum Einsatz. So müsst ihr beispielsweise bei Verfolgungsjagden durch schnelle Reflexe ein Stolpern verhindern und oder auf schmalen Planken euer Gleichgewicht halten (...das berüchtigte Ghost Hall Building sei an dieser Stelle verflucht...Grrr!!!). Natürlich kann man über den Einsatz dieser Events wieder geteilter Meinung sein. Die einen halten sie für eine völlig überflüssige und anspruchslose Streckung der Handlung, andere sehen in den QTEs eine Bereicherung für das Spiel, zumal sie, außer ein paar Ausnahmen recht spannend und adrenalinfördernd inszeniert wurden. Negativ zu bewerten ist hier jedoch, dass ihr sämtliche QTEs beliebig oft bis zum endgültigen Bestehen wiederholen könnt. Habt ihr einen Event nicht geschafft, dürft ihr nach einem ‚RETRY-Screen‘ kurzerhand erneut ins Getümmel. Hier hätte dem Gameplay eine begrenzte Anzahl an Versuchen bestimmt gut getan, evtl. mit der Konsequenz, bei Nichtbestehen zum letzten Speicherstand zurückgeworfen zu werden o. Ä. Alles in allem fügen sie sich aber recht gut ins Game ein und lockern das Gameplay erfrischend anders auf.

Atemberaubende Präsentation

Wenn von Shenmue die Rede ist, wird jedem sofort die Präsentation einfallen. Großer Detailreichtum, Tageszeitenwechsel, Wetterumschwünge und realistische, den Vorbildern nachmodellierte Kulissen sorgen für eine dermaßen dichte Atmo, das man glaubt davon erdrückt zu werden. War der Vorgänger schon ein wunderschönes Gesellenstück, kann der Nachfolger regelrecht als Meisterwerk bezeichnet werden. Noch nie zuvor konnte man eine derart detaillierte Szenerie bewundern. Angefangen beim Verhalten der unzähligen NPCs, denen Ryo im Laufe des Spiels begegnet. Marktschreier und Ladenbesitzer preisen klatschend ihre Waren an, Geschäftsleute sind auf dem Weg zur Arbeit, ältere Menschen gehen gemütlich spazieren. In Bars und Bistros machen die Bewohner ihre wohlverdiente Mittagspause und in Parks spielen Kinder oder rennen wild durch die Gassen. Auch die Tageszeit ist hier ausschlaggebend. Sind die Straßen in der britischen Kronkolonie tagsüber noch von wildem und hektischem Gewimmel geprägt, wirken sie gegen Abend fast wie leergefegt. Realistische Gebäude, Spielhallen, Pfandhäuser, Restaurants...fast alle Gebäude können betreten und besichtigt werden. Ab und an fängt es aus heiterem Himmel zu regnen an und sämtliche Leute öffnen ihre Schirme. Atmosphärisch wurde hier wirklich eine kleine Meisterleistung vollbracht. Ständig hat man das Gefühl, selbst dabei zu sein. Abgerundet wird der gute Gesamteindruck vom ausgezeichneten Charakterdesign, das dank dem Einsatz tausender Polygone und feiner Texturen wirklich exzellent gelungen ist. Abstriche kann man, wenn überhaupt, nur bei der gelegentlich zusammenbrechenden Frame-Rate, wenn sich viele Charaktere auf dem Screen befinden, machen. Die auftauchenden NPCs, die ohne Anzeichen plötzlich vor euch stehen sind zwar auch recht seltsam, sie tun der Gesamtatmosphäre jedoch keinen Abruch.

In Sachen Sound- und Musikuntermalung kann man bei Shenmue ebenfalls voll des Lobes sein. Realistische Geräusche, seien es nun Schritte, Schläge oder auch der Tumult, wenn ihr euch mitten in Menschenmassen befindet, verwöhnen eure Ohren vom Feinsten. Einige Musikstücke wurden von Shenmue übernommen, andere hingegen neu komponiert. Egal ob sanfte Stücke, hämmernde Beats oder orchestrale Klänge - immer passt die Musik zum aktuellen Geschehen und untermalt dieses stimmungsvoll. Der Shenmue Soundtrack gehört nicht umsonst zu den Besten der Videospielgeschichte. Erwähnenswert ist auch die Sprachausgabe. War diese in Suzuki’s Erstlingswerk die komplett in Englisch gehalten, dürfen Shenmue-Fans diesmal die Sprachausgabe aus Ryo’s Heimatland geniessen. Da Spieler aus hiesigen Gefilden die Story dann jedoch nur mit einem dicken Japanisch-Wörterbuch verfolgen könnten, sind die Untertitel in gut lokalisiertem englisch.

  Fazit : Keine Frage, Shenmue II lebt wie sein Vorgänger von der bombastischen Präsentation, der tollen Story und der dichten Atmosphäre. Gameplay-technisch wird es von den meisten Genrevertretern locker übertroffen. Eine schwierige Suche nach Gegenständen, ein komplexer Aufbau unterschiedlicher Fähig- und Fertigkeiten, Magie, Dungeons, o.Ä. sucht man im Shenmue-Universum vergebens. Das Gameplay beschränkt sich im Endeffekt auf simples Fragen nach dem ‚Try&Error-Prinzip‘ und Geschicklichkeits- und Reaktionstests, das wars...Schluss, aus! Trotz allem geht die Rechnung von Yu Suzuki auf! Warum? Weil kaum ein Game es je geschafft hat, durch nahezu unbegrenzte Interaktivität und einer lebendigen, realen Spielwelt gepaart mit einzigartiger Präsentation den Spieler so in seinen Bann zu ziehen, wie Shenmue II es tut. Es ist mehr als ein Videospiel. Es ist die perfekte Illusion, mittendrin statt nur dabei zu sein. Den Titel ‚Killer-Application‘ für eine Konsole haben nur recht wenige Games verdient, aber Shenmue II hat meinen Segen, sich ohne Ausnahme in diese Riege einreihen zu dürfen. Denn was Sega AM2 mit diesem Titel abgelegt haben, ist wahrlich ein Meilenstein auf dem langen Weg in der Geschichte der Videospielwelt. Danke, Suzuki-San...!
 

 
 

 
Grafik       

Sound      

Spielspaß