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Review der PAL-Version


von Greg

 
 

 
  Fast jeder ambitionierte Videogamer, der nicht erst mit PS2 & XBox in sein Hobby eingestiegen ist, verbindet mit Segas Mammutprojekt Shenmue etliche Erinnerungen. Für viele ein zeitloses Meisterwerk, sehen andere hingegen in dem Spiel einen überhypeten Langeweiler ohne spielerische Substanz, der allein von der Technik lebt ... Shenmue mag zwar polarisieren wie kaum ein anderer Titel, in Vergessenheit wird er aber ganz so schnell nicht geraten. Ursprünglich noch als konventionelles RPG aus dem Virtua Fighter-Universum geplant, begann man beim Arcade-Spezialisten AM2 bereits im Jahre 1994 mit den Arbeiten an Shenmue, welches als Killerapplikation für Segas Saturn gedacht war. Etliche Verzögerungen sorgten jedoch dafür, dass sich eine Veröffentlichung des fast fertigen Spieles wegen des plötzlichen Niedergangs der Konsole nicht mehr rentiert hätte, also wurde das Saturn-Shenmue flux eingestampft und stattdessen auf den kommenden Dreamcast transplantiert. Der Öffentlichkeit erstmals Ende 1998 als Grafikdemo namens Project Berkley präsentiert, erschien das fertige Spiel dann ein weiteres Jahr später in Japan, US- und PAL-Spieler mussten bis Ende 2000 für die vollständig lokalisierte Fassung ausharren.

Trotz aller Schlagworte und blumigen Gameplay-Umschreibungen wie FREE und QTE, handelt es sich bei Shenmue im Kern um ein klassisches Grafik-Adventure. Ihr schlüpft in die Rolle des jungen Ryo Hazuki, dessen Vater im Vorspann vom Kampfkunst-Experten Lan Di umgebracht wird, weswegen er Rache schwört und sich den Mörder vorknöpfen will. Da Lan Di sich aber aus dem Staub gemacht hat, muss sich Ryo nun in mühevoller Kleinarbeit Stück für Stück an dessen Aufenhaltsort herantasten, bevor es zur finalen Konfrontation kommt. Im Gegensatz zu den Adventure-Vorbildern bewegt sich Ryo hier aber nicht nur zwischen einer Handvoll Bildschirme hin und her, stattdessen steht euch eine komplette Kleinstadt zur Verfügung, in der Hunderte von Leuten ihrem geregelten Tagesablauf nachgehen und zur beinahe jeder Gelegenheit nach Hinweisen ausgequetscht werden können. Dies stellt auch den Großteil des Gameplays von Shenmue dar, Ryo wird von einer Örtlichkeit zur anderen dirigiert, erarbeitet sich dabei neue Hinweise und kriegt eine Vielzahl an Zwischensequenzen zu sehen. Damit angesichts der zahlreichen Cutscenes das Spiel nicht zum interaktiven Film ausartet, wurden Reaktionstests eingestreut, in denen ihr nach Dragon's Lair-Art innerhalb von ein paar Sekunden die richtige Taste auf dem Pad drücken müsst, damit die Sequenz positiv für euch verläuft, ansonsten geht sie nochmal von Vorne los. Action-Freunde kommen dank regelmäßiger Klopp-Einlagen ebenfalls nicht zu kurz, in denen Ryo mithilfe einer ausgewachsenen 3D-Kampfengine ordentlich Prügel austeilen kann.

Spielerisch mag Shenmue zwar insgesamt gesehen keine allzu großen Sprünge machen, aber der Mangel an Gameplay-Finessen wird anderweitig wieder wettgemacht, denn im Endeffekt ist die unglaubliche Liebe zum Detail, mit der die Leute bei AM2 zu Werke gegangen sind, der wahre Star des Spieles. Da das Game in unserer realen Welt spielt und das japanische Städtchen Yokosuka ebenfalls existiert, hat Produzent Yu Suzuki anhand von diversen Fotoshootings die Schauplätze so originalgetreu es ging rekreiert und ins Jahr 1986 versetzt, in dem die Story von Shenmue stattfindet. Das Ergebnis ist überwältigend: Hundete von Wohnungen, ein paar Dutzend Restaurants, Supermärkte und anderweitige Geschäfte, Cola-Automten, Spielhallen ... eine derart umfangreiche und lebendige Videospiel-Location wie Yokosuka gab es bis dato nicht und wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch selten geben. Folgt man nicht der Storyline, kann man beispielsweise viel Zeit mit der Dart-Maschine oder dem Sammeln von Spielzeugfiguren verbringen, es gibt viel abseits des eigentlichen Lösungswegs zu entdecken. Die Uhr läuft während euer Eskapaden zwar gnadenlos mit, Geschäfte haben feste Öffnungszeiten, Sonnenauf- beziehungsweise -untergänge sowie das Wetter orientieren sich an den echten meteorologischen Daten der damaligen Zeit, aber das Spiel gibt einem mehrere Monate Zeit um die Geschichte zum Abschluss zu bringen, also sollten selbst die tranigsten Spieler den Game Over-Screen nicht zu Gesicht bekommen.

Eine der größten Stärken von Shenmue ist die technische Seite. Die Grafik mag mittlerweile wegen einiger verwaschener Texturen und gelegentlicher Slowdowns nicht mehr ganz selben den Effekt haben wie beim Release, seinerzeit war Shenmue aber das plattformübergreifend best-aussehendste Spiel und stach in Sachen Detailgrad und Animation selbst hochgezüchte PC-Projekte locker aus. Viele Gegenstände, die in anderen Spielen einfache Dekoration wären, können in die Hand genommen und manipuliert werden, die Charaktere haben von Hauptfigur Ryo bishin zum kleinsten NPC allesamt ihre Eigenheiten und sind realistisch proportioniert, Licht- und Schattenwurf sind physikalisch korrekt ... für den Technikfreak war Shenmue eine Offenbarung. Der herausragenden Optik glücklicherweise in nichts nach stand der Soundtrack des Spieles: Komponiert von Segas Starmusiker Yuzo Koshiro, rangiert die Bandbreite der Tracks vom traditionell-japanischen Haupt-Thema über knackige Rockmucke bishin zum souligen Popstück, viele Titel wurden aufwendig per Orchester eingespielt und der Rest wurde sehr solide mit dem Dreamcast-Soundchip instrumentiert. Leider klingt die durchweg englische (und teilweise lachhaft-komische) Sprachausgabe etwas zu rauschig, angesichts der Tatsache dass jeder (!) noch so kleine Dialogfetzen vertont und auf die Discs gepresst wurde, ist dies aber zu verschmerzen.

Woran genau lässt sich die Faszination von Shenmue denn nun festmachen? Die spielbare Seite ist wie erwähnt nicht die wahre Stärke, ehrlich gesagt kann der Mix aus endlosen Fragerunden und gelegentlichem Knöpfchendrücken mitunter ganz schön anstrengend werden und in Langeweile ausarten. Die wegen der gewöhnungsbedürftig-indirekten Steuerung und ellenlanger Tutorials flache Lernkurve, kombiniert mit der für ein Videospiel überwältigend großen Umgebung macht den Einstieg in Shenmue zu einem Geduldspiel, das viele in den ersten Spielstunden sehr leicht abtörnen kann. Bleibt man jedoch am Ball und macht sich allen Features vertraut, eröffnet sich einem eine ganz andere Art von Spielspaß. Nur in Shenmue kann man sich derart in eine Spielewelt komplett fallen lassen und hat dabei das Gefühl, als würde man in Wirklichkeit durch die Gassen von Yokosuka streifen und dabei die verschiedensten Leute treffen ... ok, das mag sich vielleicht etwas klischeehaft anhören, aber es umschreibt den Reiz des Spieles doch ganz gut. Wo Gameplay im traditionellen Sinne eigentlich im Vordergrund stehen sollte, rückt es bei Shenmue in den Hintergrund und Detailgrad sowie Interaktivität sind der Fokus. Die Storyline als treibender Faktor trägt natürlich ebenfalls zum Spielspaß bei, obwohl das Spiel wegen seiner Natur als Beginn einer groß-angelegten Geschichte wesentlich mehr "Setup" als "Payoff" enthält. Auch wenn ich meinen Finger nicht exakt auf die Spielspaßquelle von Shenmue legen kann gehöre ich zu den Leuten, die immer mal wieder trotz mehrfachem Durchspielens in Yokosuka abtauchen und sich dieses einzigartige Stück Software genehmigen.

Was wir heutzutage als Shenmue kennen war übrigens, wen sollte es wundern, nicht als ein eigenständiges Spiel gedacht. Nachdem der Wechsel auf den Dreamcast erfolgte plante Sega, die von Yu Suzuki geschriebene Saga in kleinen, mehrstündigen Kapiteln zu veröffentlichen. Diese Kapitel sollten in regelmäßigen Abständen erscheinen und im Laufe von mehreren Jahren die Story nach etwa 16 Ausgaben beenden. Dieses Geschäftsmodell fiel aber aus diversen Gründen flach, so dass man mehrere Kapitel zusammenfasste ... geboren war das Dreamcast-Shenmue. Da das Spiel aber insgesamt nur das erste Drittel der gesamten Storyline umfasst, ended das hier behandelte Shenmue unvermittelt mittendrin ohne adäquaten Abschluss. Wer also in die Geschichte um Ryo und Lan Di eintauchen will hält am besten gleich Shenmue II parat, welches den Mittelteil der Saga repräsentiert und dazu etliche Gameplay-Makel des Erstings entschärft.

  Fazit : Shenmue ist einer der ungewöhnlichsten Versuche, eine Geschichte in Form eines Videospieles zu erzählen. Reduziert auf die Spielbarkeit hat Shenmue außer leichter Rätseln mit gelegentlichen Kampfeinlagen und Reaktionstests kaum was zu bieten, dafür locken eine originalgetreu nachgebildete Kleinstadt, einmalige Interaktivität und interessante Storyansätze zur Reise nach Yokosuka, präsentiert in fantastischer Optik und einem der besten Soundtracks aller Zeiten. Sicherlich nicht jedermanns Geschmack, sollte man als gestandener Spieler Shenmue immerhin eine Chance geben, es kann gut sein, dass dabei eines der besten Erlebnisse seiner Videogamekarriere herausspringt ...
 

 
 

 
Grafik       

Sound      

Spielspaß