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Grandia II gehört zu den wenigen Rollenspiel-Lichtblicken, die auf Segas Dreamcast vorbeigeschaut haben und ist wohl auch der beste Genre-Vertreter dort überhaupt. War der erste Teil als japanischer Exklusivtitel für den Saturn lange nur ein Geheimtipp, sorgte die spätere PSOne-Umsetzung weltweit für gute Wertungen und Abverkäufe, so daß von den Lunar-Machern bei Game Arts schnell ein Nachfolger in Auftrag gegeben wurde. Im Spätsommer 2000 in Japan erschienen, folgte über Ubi Soft eine aufwendig-lokalisierte US-Fassung kurz darauf im glorreichen RPG-Winter des selben Jahres, die PAL-Version wurde dann ein paar Monate später nachgeschoben.
Obwohl Grandia II durch und durch ein traditionelles Japano-RPG ist, sind viele interessante Ideen und Besonderheiten drin, welche das Spiel angenehm aus der Masse herausstechen lassen. Der Hauptdarsteller ist ein junger Bursche namens Ryudo, seines Zeichens Söldner mit Aufträgen die ganze Bandbreite hindurch, der mit seiner zynischen Weltanschauung und mürrischen Art ziemlich weit vom typischen Rollenspiel-Protagonisten entfernt ist. Im Rahmen eines Jobs findet er sich dann als Bodyguard einer jungen Priesterin der Granas-Kirche wieder, die er auf ihrer Pilgerfahrt zum Hauptsitz ihrer Religion begleitet, was natürlich einiges an Konsequenzen mit sich zieht. Dank der variierten Charakterisierung, eure Party besteht auf vielen kontrastreichen Persönlichkeiten welche mitunter komplett unterschiedliche Ziele verfolgen, entsteht so eine recht ansprechende Gruppendynamik, welche zusammen mit der gelungenen Lokalisation sozusagen das Salz in der Suppe von Grandia II bildet. Die Storyline ist natürlich auch nicht zu verachten, sie sorgt für etliche gelungene Situationen und Aufgabenstellungen, biegt aber gerne Mal in vorraussehbare Bahnen ab, so daß primär Charaktere und Dialoge das Spiel tragen.
Wer das erste Grandia kennt wird sich im Nachfolger schnell zurechtfinden, denn der Großteil des Spielsystems wurde recht akkurat vom Vorgänger übernommen und natürlich mit den obligatorischen Updates und Verbesserungen aufgepeppt. Random Encounter sind wie gehabt nicht im Spiel vorhanden, gegnerische Gruppen traben sichtbar in den Kampfgebieten umher und können mit etwas Vorraussicht fast komplett vermieden werden, was für das Nervenkostüm manchmal durchaus förderlich ist. Die Dungeons selber setzen mehr auf verwobene Gänge als denn auf aufwendige Konstruktionen, ein paar nette Rätsel wurden immerhin eingebaut und lassen die Denkmurmel hier und da ein wenig rotieren, aber im Vergleich mit der Genre-Spitze Marke Wild AMRs 2 sind die Grandia-Kerker eher lockere Happen. Der größte Malus des Vorgängers, die allgemeine Unübersichtlichkeit und das fehlende Automapping, wurde übrigens recht schlau durch einen intelligenten Kompass gelöst, der sich auf das gewünschte Ziel ausrichten lässt und einem die jeweilige Entfernung immer korrekt ausgibt. Dadurch behält man trotz drehbarer Kamera und ähnlich-aussehender Locations einen gewissen Grad an Überblick, so dass vor allem die Dungeonbesuche wesentlich stressfreier als im Vorgänger ablaufen, es ist ein echt tolles Feature und ich frage mich immer noch, warum es nicht in viel mehr Spielen verwendet wurde.
Das zentrale Herzstück und der wohl gelungenste Aspekt von Grandia II, mit Ausnahme des Charadesigns natürlich, ist mal wieder die Battle-Engine. Seid ihr mit einem Gegner in Kontakt gekommen wird einen separaten Bildschirm umgeschaltet, der je nach Art der Berührung eine andere Ausgansposition mit sich bringt. Erwischen euch die Feinde unbemerkt von hinten erhalten sie einen strategischen Vorteil, schafft ihr das gleiche Kunststück könnt ihr sie erstmal in die Mangel nehmen, ohne dass sie sofort zurückschlagen. Gegner wie Party sind dann alle fein säuberlich auf einer Zeitleiste vermerkt, an der sich gut absehen lässt wann, womit und gegen wen der jeweilige Kampfteilnehmer agieren wird. Da alle während der Battles dynamisch auf dem Feld umherlaufen gleicht so kaum ein Kampf dem anderen und verlangt oft schnelles Umdenken von euch, um sich an die jeweilige Situation anzupassen. Es ist eine ziemlich spaßige Angelegenheit clever seine Fähigkeiten und Timings abzustimmen, damit die Gegner möglichst effektiv und mit satten EXP-Boni gemetzelt werden können. Leider hat die Engine trotz aller Herrlichkeit unter einem ganz bestimmten Design-Mangel zu leiden, auf den ich aber später noch zu sprechen komme. Zauber funktionieren übrigens wieder über die sogenannten "Mana Eggs", welche jeweils über ein Arsenal an Sprüchen verfügen und nicht an bestimmte Personen gebunden sind, für die Skills gilt neben einer Handvoll fest gebundener Fähigkeiten das Selbe.
Technisch macht Grandia II auf dem Dreamcast eine sehr gute Figur und wäre auch in der Hinsicht der Genre-König auf der Konsole, wenn Sega nicht noch das grafisch beeindruckendere Skies of Arcadia nachgeschoben hätte. Im Vergleich zu den damals aktuellen PSOne-RPGs und der restlichen Dreamcast-Bibliothek kommt Grandia mit schön bunten und sauber konstruierten Polygonwelten daher, die Charaktere hätten zwar ein paar Texturen mehr vertragen können, aber durch die oft eher hohe Spielperspektive fällt dieser Umstand nicht so sehr ins Gewicht. Dank der satten Dreamcast-Power eliminiert das Spiel übrigens einige der größten Schwächen des Vorgängers, die Framerate bleibt jetzt meist stabil bei 30 fps und die früher teils-ewig langen Ladezeiten sind auf ein erträgliches Maß geschrumpft. Für die Beschallung war Game Arts-Stammkomponist Noriyuki Iwadare zuständig, der hier wieder seine gewohnt ausgegliche Balance an peppigen und eher ernsthafteren Tracks eingebaut hat, zu meinen Lieblingen zählen u.a. das schön gesungene Titelstück "A Deus" sowie das gitarrenlastige Battle-Theme. Ein Lob von meiner Seite aus auch an die englischen Synchron-Sprecher, welche die wichtigsten Dialoge im Spiel passend und emotional vertont haben ... kein Wunder, stammt doch ein Großteil des Leute aus dem Metal Gear Solid-Stammteam.
Eigentlich bringt Grandia II alles mit um zu den absoluten Top-Titeln zu gehören, Grafik und Musik sind sehr gelungen, Charakterdesign und Storyline ebenso, dazu werden die typischen Genre-Fallen wie schier-endlose Encounter und repetives Kämpfen geschickt umschifft, wenn da nicht der niedrige Schwierigkeitsgrad wäre. Dies sollte man nicht falsch verstehen, die Gegner sind im Allgemeinen keine Dummchen und viele der Bosskämpfe sogar richtig anspruchsvoll, aber da jederzeit an den üppig verteilten Savepoints die Party ohne weitere Kosten komplett wiederhergestellt werden kann wird damit einfach die Spannung aus den Kampfgebieten rausgenommen. Was ist der Sinn darin mich aufwendig mit den Gegnern auseinanderzusetzten um möglichst wenig Energie zu verlieren, wenn ich sie genausogut nach "Schema F" besiegen kann und mich gleich darauf wieder heile? Damit wird vor allem der Engine Unrecht getan, die sich selbst nichts zu Schulde kommen lässt, aber vom Spiel einfach nicht in dem Maße genutzt wird wie sie es verdient hätte. Wie schwer dieser Umstand für einen wiegt hängt proportional mit dem Spielspaß zusammen: Ich kenne Leute die Grandia II deswegen komplett verdammen, für andere hingegen ist es dennoch eines der besten RPGs ever. Ich selber tendiere da mehr in Richtung Mitte, das Problem ist natürlich vorhanden und lässt sich nicht von der Hand weisen, aber wer es nicht darauf anlegt sich das Spiel mit andauernden Savepoint-Besuchen kaputt zu machen wird von der Engine mit einigen richtig spannenden Auseinandersetzungen entlohnt. Die hier besprochene US-Fassung ist übrigens die beste Ausgabe von Grandia II, neben gelungener Lokalisation und hübscher Verpackung kommt sie mit einem Bonus-Soundtrack daher, der in der PAL neben deutschen Texten und 60Hz-Modus fehlt. Komplett die Finger lassen würde ich hingegen von den PS2- und PC-Umsetzungen, welche entweder miserabel angepasst oder bugverseucht ohne Ende sind, was ziemlich kräftig am Spielspaß nagt.
Fazit : Unter den Einäugigen ist der Blinde König ... ok, ganz so schlimm ist es zwar nicht, aber angesichts der mageren RPG-Bibliothek des Dreamcast macht es sich Grandia II trotz eines schwerwiegenden Schnitzers auf dem Spitzenplatz gemütlich. Technisch wie spielerisch durchweg gelungen und mit vielen, guten Ideen ausgestattet, macht gerade die Battle-Engine in den spannenden Bossfights eine gute Figur. Leider wird durch unendlich nutzbare "Recovery"-Stationen der Schwierigkeitsgrad quasi komplett ausgehebelt und das Spiel mutiert damit zu den anspruchsloseren Vertretern seiner Art. Wer sich mit diesem Umstand anfreunden kann kriegt mit Grandia II dennoch ein schön-knackiges Rollenspiel vor die Flinte, was mit knapp 25 bis 30 Stunden nicht unbedingt das längste ist, aber dafür nur wenig Leerlauf enthält.
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