Es gab nur eine, aber dafür eine schöne Einsendung. Johannes Fightestörk erhält ohne Konkurrenz 20 Kommata.
Johannes Fightestörk hat geschrieben:
Auf Umwegen zur Dekadenz
Private Aufzeichnungen des J. Fightestörks, August 2008
Der nächste Morgen war in mehrfacher Hinsicht ernüchternd, in erster Linie weil er garnicht der nächste, sondern der übernächste Morgen war. Mit einer dem Kentern nahen Ladung von diversen Lebensmitteln auf Magensäften im Bauch bewegte ich mich ins Büro des Exzessiors. Das heißt ich stocherte meine Beine so lange in den Boden, bis ich das Radio angeschaltet hatte und als die Umgebung nach Schreibtisch aussah ließ mich auf die Kante sinken. Sonderlich schwer war das bei einem einzigen Zimmer nicht, aber es kostete doch einige Orientierung. Und als ich dann so da saß und mir einfiel, dass ich auf dem Weg in alle möglichen Sachen getreten war, die vorher noch nicht da waren - während Polymachaeroplagides die Hymne von Quartan aus den Lautsprechern zum Besten gab -, wusste ich genau: Jetzt war ich endgültig auf den Spuren des Zerfalls. Und es gab kein Zurück mehr. Ich stolperte aus der Bürotür, einem Übelkeitsanfall damit vorbeugend, dass ich die Luft anhielt. Unter dem Zeugs am Boden waren unter anderem mehrere neue Anzüge in Frischhaltesäcken, jede Menge Armbanduhren und ein Leder-Aktenkoffer randvoll mit Kugelschreibern, Tintenfüllern und Bleistiften und Phno, in verkrüppelter Haltung und stocksteifer Leichenstarre. Am besten, ich übergab mich erstmal, dachte ich. Nach einigen Minuten des Rekapitulierens, Kotzens und Herumstöberns fiel mir auf, wie viele Seiten meines Scheckbuches wirklich fehlten und die Monatsgehälter platzten in meinem Kopf. Rum macht größenwahnsinnig. Wer braucht schon einen ganzen Koffer voller Schreibwaren? Entweder man ist verrückt nach Mengenrabatten oder ein total abgedrehter Spinner. Aber ich schätze mal abgesehen von der Tatsache, dass ich in jeder Lebenslage zu selbstsicherer Artikulation neige mögen quartanische Schreibwarenläden abgedrehte Spinner mit Pressechefausweisen aus der Kolonie und Schecks von einer namhaften quartaner Bank. Wo ich die Anzüge aufgetrieben hatte war mir nicht klar, aber ich schien weit gekommen zu sein in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Preise jeweils in den vierstelligen Bereich gingen. Und als ich das letzte mal klar Denken konnte war Quartan noch nicht Paris gewesen. Ich hatte gewaltig Mist gebaut - das war nicht unbedingt etwas Neues, aber diesmal gab es eindeutig kein Entrinnen. Hatte ich die Sachen bezahlt oder gestohlen? Hatte ich Phno umgebracht? Sind wir mit Gesetzeshütern in Kontakt gekommen? Wo ist mein zweiter Schuh? Ich grabbelte mir am Kopf rum wie ein wild gewordener Schimpanse und ging die Optionen durch. Versuchen, die Sachen loszuwerden oder zurückzugeben, das Land verlassen oder ein geschätztes halbes Jahr auf Sparflamme leben. So sehr ich meinen Luxus mag, so sehr hasse ich Gerichtssäle. Man kommt sich vor wie im Haus des Allmächtigen und bekommt dann einen rotnäsigen Hammerwerfer vor die Nase gesetzt, der nichts zu tun scheint außer Fragen zu wiederholen und Paragraphen vorzulesen. Menschen, die für etwas bezahlt werden, dass sie irgendwann mal getan oder erlernt haben: Genau der Grundsatz, der in unserem Schulwesen gepredigt wird. Arbeitet jetzt und lebt später auf Kosten des Staates. Außerdem stinken im Gericht die Stühle. Ich bin durchaus ein wenig verrückt, aber Realist, und nicht tollkühn genug um in so einer Lage vor dem Gesetz zu fliehen, das in ein paar Stunden spätestens wissen würde, dass ein Dieb mit meinem Namen in meinem Lokal herumkotzt und Wutanfälle auslebt. Also würde ich diesen Geruch wohl erdulden müssen. Ich setzte mich auf eine Sitzbank und machte mir ein paar obligatorische Vorwürfe, ohne die ich mir vorkomme wie der schlechte Mensch, der ich in Wahrheit bin. Während das Radio inzwischen irgend einen neuen Hit dahergurkte und Phno immer noch dabei war, ganz und gar tot zu sein, kam ich um eine Frage nicht herum: Was ist eigentlich der Sinn des Ganzen?
Der Sinn des Lebens
Aus den Memoiren des längst verstorbenen A. Fightestörks
»Man kann sein Leben lang lernen und arbeiten und hat am Ende doch nichts erreicht.« sagte mir eine gute Freundin einmal. Diese Aussage zu glauben ist eine Grundsatzentscheidung. Tut man es, ist man ein Träumer oder ein Draufgänger. Friedrich Schiller träumte sein Leben lang von dem ewigen Weiterleben im Geist seiner Werke. Grundsätzlich scheint ihm das durchaus gelungen zu sein. Aber ob Zweihundert Jahre später in unseren Schädeln immer noch der selbe Schiller am Schreibtisch sitzt und verfaulte Äpfel anstarrt wie der damals Lebende, ist eine andere Frage. Träumer findet man überall in der hohen Kunst Dinge zu erschaffen, die andere Menschen empfangen und dann damit machen, was sie eben so damit tun. Sehen, hören, anfassen, damit leben, an ein Kreuz nageln... Menschen formen alles zu einem Kunstwerk, auch sich selbst. Und Nietzsche tut das sogar mit unserer ganzen Gattung, womit er eindeutig am tiefsten in der Tinte sitzt. Draufgänger, liebevoll auch Nihilisten, findet man auf beliebigen Parkbänken, aber auch in der nächsten Universität oder im Bundestag. Denn so wirklich mag keiner mehr an die Tugend des reinen Handelns als letzte Sinnlösung glauben. Das konnte man uns weis machen, als wir noch Stahlstangen benutzten, um uns gegenseitig umzubringen. Aber der Mensch ist gewieft und Heute taugt dazu eine vollautomatische Feuerwaffe. Er steht eine Stufe höher bei Gott, und trotzdem versteht er noch immer nicht, was er denn nun mit der Zeit anfangen soll, die ihm auf der Erde geschenkt wurde.
Denn mehr als nur die Andeutung eines Sinnes erfahren wir nicht, auch nicht wenn wir glauben unsere Bestimmung in der Welt oder gar eine ganz eigene Welt gefunden zu haben. Was bleibt ist ein fahler Beigeschmack von Depression und Sinnlosigkeit. Wir denken zu viel und doch gleichsam zu wenig, wenn man bedenkt was die Weltgeschichte an Komödien zu bieten hat.
Hat Hamlet den Sinn des Lebens entdeckt, war es Darwin oder vielleicht doch Arthur Dent? Hätte man Jesus Christus oder Mahomet den Propheten fragen sollen und hätten sie eine Antwort gewusst? Möglicherweise kennt eine hawaiianische Haushälterin die Antwort, backt Kekse und lacht sich den ganzen Tag über die Hilflosigkeit der Menschheit schlapp. Irgendwann wird sie alt und nachdem sie genug gelacht hat, schreibt sie alles für die Nachwelt auf. Danach verwertet jemand das Papier wieder und möglicherweise wurden damit diese Zeilen finanziert. Möglicherweise ist unser Lebenssinn aber auch viel zu komplexer Natur, um ihn mit einem Gehirn wie dem unseren verstehen zu können. Mutierte Elefanten oder selbstreproduktive Supercomputer wären angesagt. Oder, und das muss zum wesentlichen Amusement Gottes beigetragen haben: Es gibt gar keinen Sinn. Wir könnten infolge eines kosmischen Unfalls entstanden sein oder wir sind ein Exkrement des reinen mathematischen Zufalls.
Die fadenscheinige Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest ist wie ein Weltmeistertitel - nie länger als ein paar Jahre beständig. Es zerbrachen Generationen von Dickköpfen an ihr und nie war das Ergebnis endgültig. Und solang das so ist, gebe ich der Welt folgende Antwort:
Der Sinn des Lebens ist, (unleserliche Schrift) und seit nett zu euren Nachbarn.