Xhi hat geschrieben:
Einige Jahrhunderte später ausgehend von den ersten Usprüngen in der Musica enchiriadis, ja, aber der gregorianische Choral bestand doch noch bis ins späte 16. Jahrhundert hinein, also auch zu Zeiten Palestrinas.
Natürlich bestand der noch weiter, aber das ist nicht, wohin sich die Musik entwickelte und nicht, wofür Palestrina - egal, wie sehr er vllt. am Choral noch beteiligt sein mag - in die Geschichte einging und auf Komponisten wie Bach großen Einfluß ausübte.
Klar kann man eine direkte Linie von der musica enchiriadis zu Palestrina ziehen (die kann man an sich noch bis ins frühe 20. Jh. ziehen, auch wenn es zwischenzeitlich - auch im Spätmittelalter - immer wieder auch andere Einflüsse gab, die dazugemengt wurden; z.B. ist ab etwa 1400 ein Einfluß nordischer Musik anzunehmen, der sich insbesondere in der Konzentration auf den Dreiklang äußert - etwas, was übrigens, bis heute die gesamte europäische Musiklandschaft prägt), und Ausgangspunkt der Kompositionen waren zwar oft noch ein richtiger
cantus firmus, aber die Vokalpolyphonie der Renaissance mit ihren komplexen Satz- und Klauselregelungen ist eindeutig von der monophonen Gregorianik zu unterscheiden.
Zitat:
Inwiefern sollte man ihn denn verstehen können, um ihn lieben zu lernen? Klär mich auf und empfiehl mir was, es würde mich interessieren.
Na, ich weiß nicht. Man darf halt nicht auf Effekte aus sein; in Palestrina bzw. allgemein der Renaissance-Vokalpolyphonie finde ich eine Kunstfertigkeit, Eleganz und Filigranität des vokalen Satzes vor, die es danach m.E. so nie mehr gegeben hat. Es ist klar, "klassisch" und vollendet. Das kann man vielleicht langweilig finden, besonders, wenn man einseitig aus einer (post?)modernen Perspektive nach zwei Weltkriegen, Freud, Darwin und Einstein und der totalen Dekonstruktion von Ästhetik, Ordnung oder Sakralität auf eine ganz andere Epoche mit ganz anderen Werten und Maßstäben blickt [das wäre übrigens umgekehrt genau so, wenn jemand, der nach Bach nichts mehr hört, mit modernen Komponisten nichts anzufangen weiß], aber es zeigt, wozu die menschliche Schaffenskunst in der Lage ist.
Versuch mal, einen makellosen vierstimmigen Satz nach allen Regeln der Kunst zu schreiben, vllt. siehst du dann, wie schwierig es ist, daß dieser dann nicht forciert und ungelenk klingt, sondern natürlich dahinfließt.
(aber nein, ich kann dich nicht von Palestrina "überzeugen", ich versuche lediglich zu erläutern, was für mich historisch bewußtes Hören bedeutet)
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Zu meinem Tape:
Die Cover hol ich mir aus Protest immer unter irgendnem Stichwort bei deviantart, da ich eigentlich kein Kunstwerk präsentieren möchte, sondern ein Tape. x) Daß das Tape aber sehr Pathos-beladen ist, das kommt m.E. trotzdem rüber.
lol zu Xhis Wagner-Ausführungen, wie auch immer man ein Musikstück, das die Musiklandschaft so dramatisch verändert hat wie wenige andere, schön "nebenbei hören" kann. x) Zu der musikalischen Bedeutsamkeit des Tristan-Akkordes (in allen Tonlagen und Varianten dutzendfach hier iteriert) muß ich nichts sagen, ich zitiere aber Nietzsche mit seinem Urteil zu der Oper an sich:
Zitat:
Aber ich suche heute noch nach einem Werke von gleich gefährlicher Faszination, von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit, wie der „Tristan“ ist, – ich suche in allen Künsten vergebens. (...) Ich denke, ich kenne besser als irgend Jemand das Ungeheure, das Wagner vermag, die fünfzig Welten fremder Entzückungen, zu denen Niemand außer ihm Flügel hatte; und, so wie ich bin, stark genug, um mir auch das Fragwürdigste und Gefährlichste noch zum Vortheil zu wenden und damit stärker zu werden, nenne ich Wagner den großen Wohltäter meines Lebens. Das, worin wir verwandt sind, dass wir tiefer gelitten haben, auch aneinander, als Menschen dieses Jahrhunderts zu leiden vermöchten, wird unsere Namen ewig wieder zusammenbringen.
Ich bin skeptisch bei Superlativen, aber so konsequent und stimmig hat niemand davor oder danach die Einheit von Lieben und Leiden dargestellt, und deswegen ist der Begriff "Liebestod", wie pathetisch er auch sein mag, absolut passend. x)
Schade, daß Schumann bei niemandem ankommt; mir natürlich unverständlich, ist es doch durch die grandiosen Texte von Heinrich Heine alleine schon meisterhaft, aber gerade bei dem ersten hier, "ich hab' im Traum geweinet" - diese kärgliche Begleitung zu diesem eisigkalten Text; mir bleibt dabei das Herz im Halse stecken; aber wer das deutsche Lied partout nicht mag, dem ist hier natürlich nicht zu helfen. [rageskip find ich trotzdem übertrieben, bei stücken, die grad mal ne minute dauern :P]
Final Fantasy (auch bekannt als Owen Pallett; und was, 2364., Heartland ist ja wohl genial!) ist IMO einer der absolut einzigen, die es schaffen, Pop-Musik überzeugend mit klassischen Techniken zu verbinden, insbesondere da er sich nicht darauf beschränkt, ein paar Violinen oder so einzubauen, sondern unaufdringlich aber sehr kunstfertig kammermusikalische (bei Heartland auch orchestrale) Satztechniken anzuwenden. Dabei entstehen leichtzugängliche, eingängige Popstücke, die dennoch musikalischen Gehalt aufweisen können. Der Text des Liedes handelt übrigens vom japanischen Schriftsteller
Mishima Yukio, der sich vllt(?) auch aufgrund seiner Homosexualität das Leben nahm.
Guillaume de Machaut ist ein persönlicher Liebling, und ich bin fast ein bißchen überrascht, daß hier nicht durchgehend ge-wtf-t wurde, schließlich ist die Musik fast 700 Jahre alt. x) Bei so alter Musik muß man allerdings immer auch betonen, wie wichtig die Interpretation ist, da uns außer der Gesangsmelodie normalerweise nichts überliefert ist - ob (und wie) eine instrumentale Begleitung vorhanden war, wie schnell man das Tempo ansetzen soll, wissen wir kaum (können wir höchstens aus anderen Quellen inferieren) - sehr wahrscheinlich war so etwas auch tatsächlich dem Gutdünken des Interpreten damals überlassen (man mußte damals nicht jede einzelne Nuance aufs äußerste genau festhalten, wie das dann v.a. in der Romantik so war), aber für uns besteht natürlich die Schwierigkeit darin, daß wir die damaligen musikalischen Konventionen schwer rekonstruieren können. Ich finde das aber eine gelungene Interpretation (auch wenn ich andere kenne, die viel schneller sind, und die mir auch gefallen).
Fabrizio De André, auch ein Liebling, hatte ich tatsächlich auch schon auf Tapes. Das Lied stammt aus einem Album, in dem die Leben Marias und Jesu anhand der apokryphen Evangelien etwas "anders" nacherzählt werden; der Fokus liegt besonders darauf, wie die Erwartungen einer erlöst-werden-wollenden Gesellschaft von den beiden Dingen abverlangen, die menschlich nicht zumutbar sind. In dem Lied beweinen drei Mütter, Maria und die Mütter der beiden anderen gekreuzigten, ihre Söhne; die beiden anderen Mütter klagen: "Maria, lass uns etwas stärker weinen: Dein Sohn wird nach drei Tagen zu dir zurückkehren." Maria aber entgegnet mit einem großen Lamento über den Sohn, dessen Leben sie vor ihren Augen schwinden sieht, und schließt mit: "Wärst du nicht Sohn Gottes gewesen, wärst du jetzt immer noch mein Sohn." [das ist alles eine manchmal mehr, manchmal weniger subtile Religionskritik, natürlich.]
Patrick Wolf ist, das war mir bewußt, hart an der Grenze zum Kitsch (wurde mit jedem Album eig. extremer, das erste war noch ungeschliffener ... Elektrofolk?), mag ich aber trotzdem noch sehr gerne.
René Aubry, ja, der Typ ist einfach genial. x)