Da bin ich auch nicht wirklich im Bilde, aber zumindest meine großartigste Entdeckung der Viennale 2013 teile ich gern. Der Regisseur ist zwar Schweizer, aber alles andere ist ziemlich deutsch.
Meine Wenigkeit auf Moviepilot hat geschrieben:
Es ist leicht, bezogen auf das Erstlingswerk des in der Schweiz geborenen Jungregisseurs Ramon Zürcher mit großen Namen um sich zu schmeißen: Alles begann während des Filmstudiums in Berlin, wo Zürcher die Gelegenheit hatte, ein Seminar zu besuchen, das vom Ungarn Béla Tarr geleitet wurde, der ja in gewissen Kreisen Heldenstatus besitzt. Das Ergebnis dieses Seminars sollte eine Adaption eines Stoffes des Schriftstellers Franz Kafka sein, oder zumindest etwas, das seine Inspiration daraus schöpft. Viel ist abgesehen vom Fokus auf den familiären Mikrokosmos von Kafkas "Verwandlung" nicht geblieben, und auch der Sinn des Titels "Das merkwürdige Kätzchen", der schon sehr früh feststand, lässt sich nicht so einfach erschließen.
Zürchers knapp eineinviertelstündiges Werk, das schon auf der Berlinale gelaufen ist und dort auch schon für sehr positives Erstaunen sorgte, spielt fast ausschließlich in einer Berliner Wohnung. Drei Generationen samt Hund und, nun, Kätzchen kommen vormittags zusammen, bereiten ein großes Essen vor und lassen selbiges am Abend stattfinden. Punkt, aus. Das mag nicht sonderlich ergiebig klingen, doch was Zürcher Bemerkenswertes daraus macht, zeigt sich allein schon an der Verschiedenartigkeit der Emotionen, die "Das merkwürdige Kätzchen" bei den Betrachtern weckt. Hier auf dieser Seite finde ich eine Kritik, die von einem angenehmen Glücklichmacher spricht, wohingegen eine ORF-Redakteurin einen Familienhorrorfilm gesehen haben will, über einen Verband, bei dem man eigentlich nicht Kätzchen sein will.
Dieser Film erklärt uns nicht übermäßig viel. Wir steigen in den Alltag einer Familie ein und verlassen sie am Ende des Tages wieder. Es gibt keine große wie auch immer geartete Einführung irgendwelcher Charaktere, keinen wirklichen Spannungsbogen, nur nackte Situationen. Dialoge über prinzipiell Belangloses. Haushaltsarbeit. Besorgungen. Keine großen Gefühlsausbrüche. Keine repetitive Ritualisierung, die die Trostlosigkeit der Situation ausdrücken soll, wie es etwa Hanekes "Der siebente Kontinent" so unnachahmlich macht. Der Zustand dieser Familie ist hochambivalent, weil so viel unterdrückt wird, so viel unter der so ruhigen Oberfläche brodelt, so viel unausgesprochen bleibt. Alles geht irgendwie seinen gewohnten Gang, die komplexe Mechanik funktioniert tadellos, doch dahinter lauern kleine, alltägliche Abgründe.
Dieses Kleinen, Alltäglichen hat sich Zürcher bewusst mit sehr viel Liebe angenommen, demnach ist auch das Wort "merkwürdig" nicht als Synonym von "seltsam" zu betrachten, denn seltsam ist die Katze von allen Beteiligten wohl am allerwenigsten, sondern eher als "würdig, gemerkt zu werden". Und der Regisseur versteht es gekonnt, diesen sehr leichtfüßig wirkenden, aber sehr genau durchdachten Film mit Situationen zu füllen, in denen kleine Dinge plötzlich beachtliche Größe erreichen. Die ältere Tochter, der nichts Besseres einfällt als der kleinen Schwester den blutenden Finger an die Nase zu führen und "Jetzt bist du ein Clown" zu sagen. Später wird sie noch Stücke von Orangenschalen auf den Boden werfen, um zu prüfen, auf welcher Seite sie zu liegen kommen. Die adipöse Nachbarin, die ihre Einkäufe per Tasche an einer Schnur durchs Fenster geliefert bekommt. Selbst die kleine Tochter, die Mineralwasserflaschen in einen Pfandflaschenautomaten wirft! Das alles ist so wunderbar durchchoreographiert, so cinematographisch durchdacht, dass es einfach nur noch erstaunlich ist.
Man verlässt diese kurze Momentaufnahme einer Familie ein klein wenig ratlos. Was ist beispielsweise nur mit der Mutter, hervorragend eisig dargeboten von Otto Schilys Tochter Jenny, los? Ihre unheimliche Reserviertheit wird nur durch ihren Schwager, für den sie möglicherweise etwas empfindet, angekratzt, manchmal versucht sie mit ihrem Umfeld zu kommunizieren, doch es kommt so hilflos zerredet an, dass man versucht ist, an Signale aus dem Weltraum zu denken. Diese Ratlosigkeit wird allerdings noch von einer tiefen Befriedigung darüber begleitet, dass es Filmemacher gibt, die so unspektakuläre Szenarien mit so viel Leben und Bedeutung füllen können, ohne uns letztere je aufzuzwingen. Besagtes Leben bringt auch Zürchers Humor mit sich, der gelegentlich auf dem schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen balanciert, aber durch herrliche Einfälle glänzt, die sich nahtlos in die Handlung - böse Zungen mögen behaupten, es gäbe keine, ich muss widersprechen - einfügen.
Ein wundervolles Debut von großer Subtilität, mit erstklassigem Sinn für Timing und großartigem Soundtrack der Band Thee More Shallows, von den drei Viennale-Filmen, die ich mir in diesem Jahr gegönnt habe, sehr wahrscheinlich der mit der größten Nachwirkung.
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I want to believe
just keep counting the stars
like someday you'll find out
just how many there are
and we all can go home
'cause there's nothing as sad
as a man on his back
counting stars