Xhi hat geschrieben:
Wenn mir also 5 Theologen, so genannte "Experten" (ab wann ist man eigtl. ein Experte und kein Dummschwätzer?), sagen, dass Gott definitiv real ist und unsere Erde vor 12000 Jahren entstand, sollte ich das besser als "offensichtlich wahrgenommene Wirklichkeit" (sic!) hinnehmen und hirnlos nachplappern, damit ich mich mit der Frage nicht mehr rumschlagen muss? Das kommt meines Erachtens einem Aufruf zum Nicht-Denken gleich. Geistige Hörigkeit, oder wie soll ich das nennen?
Hehe.. wer sagt denn, dass diese Theologen "Experten" für die Frage sind, ob es einen Gott gibt und wann die Erde entstanden ist?

Ich würde sie definitiv nicht als Experten nehmen. Du hast jetzt natürlich mit der Gottesfrage ein absolutes Extrembeispiel gewählt, das sicherlich komplizierter ist als andere Fragen mit denen man sich im Konsensverfahren auseinandersetzen kann. Aber dennoch halte ich das auch hier für angebracht. Wenn man die richtigen Experten befragt. Und da kommts dann zu dem Problem, das du schon angesprochen hast. "Wer sind überhaupt Experten?" Für mich wäre das jemand, der über den jeweiligen Bereich über ein großes Wissen verfügt und dabei kritisch ist und keinen Dogmen folgt. Bei der Gottesfrage wären das für mich Philosophen und Religionsexperten, die sich viel mit der Frage nach einem Gott beschäftigt haben, sich selbst aber zu keinem Glauben bekennen, also unvorbelastet sind.
Und die sagen ja auch heute schon "Man kann es nicht genau sagen".
Demnach ist es Teil unserer Wirklichkeit, dass die Frage nach einem Gott nicht zu klären ist. Nach dem Experten-Konsens-Verfahren. Find ich ehrlich gesagt nicht die schlechteste Methode, auch in diesem Fall.
Und was das Alter der Erde angeht, da Frage ich natürlich Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen. Es kommt eben auf die Wahl der Experten an, die ich bei der Konstruktion der Wirklichkeit zu Rate ziehe.
Xhi hat geschrieben:
Nebenbei würde mich interessieren, wo du den Gedankengang von Nietzsche her hast. Meines Wissens nach sieht Nietzsche im Denken und in der bewussten Wahrnehmung nämlich nur die Oberfläche des instinktiv unterbewussten Reizes, des Sehens, Hörens, Riechens, Fühlens etc., also prinzipiell eine Beeinflussung des "Es" auf das "Ich" (nach Freud), also eine vollkommen subjektive Wahrnehmung der Realität. Diese Konventionen von denen du, Schocutus, sprichst, lehnt Nietzsche konsequent ab, und zwar in all seinen Schriften, das ist im Prinzip ein Kernaspekt seiner kompletten Philosophie.
"Woran ich zugrunde gehe, das ist für mich nicht wahr, das heißt es ist eine falsche Relation meines Wesens zu anderen Dingen. Denn es gibt nur individuelle Wahrheiten, - eine absolute Relation ist Unsinn" (Morgenröte)
Oh, ich glaub das hab ich aus Götzendämmerung. Müsste ich nochmal genau nachschaun. Ich glaub es ging um so allgemeine Irrtümer. Da hat er sich irgendwie auch über die wahrgenommene Wirklichkeit ausgelassen. Aber vielleicht habe ich den guten Mann da auch missverstanden. Jedenfalls dann, wenn er, wie du sagst, Konventionen im Zusammenleben der Menschen vollkommen ablehnt.
Xhi hat geschrieben:
Sehe ich übrigens genauso. Egal wieviele "Experten" ich heranziehe - nur weil alle ihre Artgenossen zum gleichen Scheißhaufen fliegen, macht es die einzelne Fliege nicht klüger, es ihnen gleich zutun. Das heißt nicht, dass ich sinnlosen Fragen wie "Ist das ein Toast?" nachgehen muss, aber dass ich die Dinge, die mein Leben bestimmen, die mich definieren oder in jedem Fall versuchen zu definieren, die mich evtl. sogar jetzt gerade hier und in Zukunft beeinflussen, hinterfragen sollte und wenigstens versuchen kann, sie zu ergründen.
Doch..die Fliege die den anderen hinterher zum Scheißhaufen fliegt ist jedenfalls klüger als die, die in die andere Richtung fliegt. Die erste Möglichkeit birgt weniger Risiko.
Und so lächerlich das ist, für uns Menschen gilt dasselbe. Einem Konsens zu folgen ist risikoärmer. Zumindest für durchschnittliche Menschen. Es gibt immer auch überragende Geister, die die Menschheit voranbringen, weil sie neue Pfade beschreiten. Solche Menschen will ja auch Nietzsche. Bzw. "Übermenschen". Denn als Menschen wären sie ja nicht mehr zu bezeichnen. Weil aber eben die Mehrheit der Menschen nicht die geistigen Fähigkeiten oder die Muße besitzt, sich bei allen Dingen "die das Leben bestimmen" eine eigene Meinung zu bilden, ist der Experten-Konsens eine tolle Möglichkeit um viele Menschen an viel Wissen teilhaben zu lassen. Ich wüsste jedenfalls keine bessere praktikable Methode. Weisst du eine?
Xhi hat geschrieben:
Das Konsensverfahren ist der Grund für alle großen Schlamassel in der menschlichen Geschichte.
Absolut nicht. Nenn mir mal Beispiele dafür, wo ein Expertenkonsens für Ärger gesorgt hat. Die größten Schlamassel der menschlichen Geschichte sind aus dem Größenwahnsinn vermeintlicher Übermenschen entstanden. Siehe Christentum, NS-Deutschland, radikaler Islamismus.. da sind überall kleine Eliten dahinter, die sich höchstens selbst zu Experten ernannt haben. Und der Konsens bei den Massen wird dabei durch Manipulation und Gewalt erzeugt.
Ich finde, man sollte Wissen und Macht trennen. Wenn das überhaupt möglich ist.
Kurz gesagt, ich verstehe deine Position absolut. Aber sie bietet keine Alternative zum Konsensverfahren. Das stellt nämlich im schlimmsten Fall eine Art "geringstes Übel" für die Masse der Menschen dar und würde in einem optimalen (zugegebenermaßen utopischen) Fall wertvolle Erkenntnisse an viele Menschen vermitteln. Ich sehe jedenfalls für den Menschen keine Alternative zum Konsens.