Die Sonnenstrahlen über den Mauern Serasons waren nur wenige Stunden alt, als Leithian schon vom Schweiße gebadet vor jenen Mauern hockte und verschiedene Kräuter sammelte. Er hasste diese Arbeit. Er hasste eigentlich den ganzen Beruf. Aber es war nunmal sein Schicksal. Noch immer lagen ihm die Worte seines Vaters in den Ohren, wie er vor 12 Jahren zu ihm sagte "Mein Junge, deine Bestimmung liegt darin, den Menschen zu helfen. Heilende Hände sind heutzutage rar geworden, kaum einer zeigt dieses Talent noch auf. Daher werde ich dich in dieser Kunst lehren." Verdammte Kunst, verdammte Hände!
Nun sammelte er einige Pflanzen, die sein Vater wiedermal aufgebraucht hatte, der wiederum IHN deshalb zur Ernte schickte. Und als er die letzte Blüte und die letzte Wurzel in seinen Korb verstaute, wusste er genau, dass sein alter Herr wieder irgendwas zu meckern haben würde. "Die sind zu feucht!" oder "Du hast sie viel zu hoch abgetrennt!" - irgendwas machte er immer falsch.
Gerade als Leithian die Stadttore passierte durchschnitt eine laute Explosion die morgenliche Luft und dicke, schwarze Rauchschwaden stiegen wenige hundert Meter von ihm entfernt auf. Er lies den Kopf sinken und verflucht zum tausendsten Male sein Leben. Er eilte zu den Rauchschwaden, die zwischenzeitlich von schwarz über rosa, mit Blumen und Punkten verziert, inzwischen hellblau wurden und damit vom Himmelsgebilde kaum zu unterscheiden waren. Als er zum passenden Haus unweit des Marktplatzes ankam, lag alles in Schutt und Asche. "Immerhin...die Mauern stehen noch!" Hustend traten ein junger Mann und ein Mädchen, beide kaum älter als 20 Jarhe alt, aus dem Qualm. Ihre Kleidung war komplett weiß - wenn man nun vom Dreck, den die Explosion hinterlassen hat, absieht.
"Mistad, Uthas, was macht ihr schon wieder?", rief Leithian in den Rauch. Das Mädchen klopfte sich den Schmutz von der Kleidung. "Uthas und ich haben eine Formel gesucht, mit der man quasi unsichtbar wird!" "Genau", fiel ihr Uthas ins Wort, "man bekommt wie ein Chamäleon die Farbe der Umgebung." Leithian sah die Zwillinge an. "Ihr seid doch verrückt, oder?" Uthas grinste. "Ach, kreativ reicht, soviele Komplimente sind doch zu viel!"
Leithian lud die Kräuter bei seinem Vater ab. "Wo hast du dich so lange rumgetrieben, Junge?" "Oh, ich hab mich nur kurz noch von meiner Lebensfreude verabschiedet." "Häh? - Ach, egal. Ich habe dir in dein Zimmer einige Bücher gelegt, die du bis morgen gelesen haben solltest." Als Leithian in sein Zimmer ging, traf ihn der Schlag: 12 dicke Bücher lagen auf dem Tisch. "Das ist doch nicht dein Ernst?!" - "Ich weiß, was du meinst. Ich dachte auch zuerst, ob es nicht zu wenig ist. Aber du hast dich so bemüht in letzter Zeit, da dachte ich mir, dass du eine Belohnung bekommen solltest." Damit schloss sein Vater die Tür und Leithian saß vor seinem Stapel Bücher. "Ich Glücklicher."
Ein Knall, ein Schreck. Leithian fuhr hoch - er war wohl beim Lesen eingeschlafen. "Schon wieder die Chaos-Zwillinge?!" Er ging aus seinem Zimmer hinaus, aus dem Haus, raus auf die Straße. Es war inzwischen später Abend oder schon Nacht. "Wenn ich die..." Plötzlich ertönte ein Schwall an Hörnern. Leithian war noch nicht ganz da - doch die Bedeutung dieser Klänge kannte er: Die Sirenenhörner Serason. "Ein ... Angriff?" Schnell wollte Leithian ins Haus, um irgendeine Waffe zu holen. Doch gerade als er sich umdrehte knarrte das Holz des Hauses und es brach zusammen. "Was zum..." Dutzende Spinnen krabbelten auf dem nun am Boden liegenden Dach herum. Leithian zögerte nicht lange und rannt - ohne Waffe konnte er nicht viel anfangen. Die Spinnen sahen ihn und verfolgten ihn. "Verflucht, ich wusste, dass dieser Tag unschön werden würde!" Er rannte wie wild, dicht gefolgt von den wilden Spinnen, zwischen Häusern und Gassen. Überall hörte er Schreie - teils aus Angst, teils von Kämpfen. Eine weitere Gasse und - "Mist!" Vor ihm versammelte sich ebenfalls eine Meute Spinnen. Er war eingekreist. "Ich glaube, das war's." "IN DECKUNG!!!" Ein kurzer Ausruf, darauf eine große Explosion - und die Spinnen vor ihm waren Geschichte. Dahinter wartend: Mistad und Uthas, mit Bogen und seltsamen Pfeilen bestückt. "Komm her!", rief Uthas. Mistad schoss einen Pfeil ab und eine Explosion versperrte den Weg für die hinteren Spinnen hinter Leithian. "Leithian, alles klar?" - "Wo ist mein Vater?!" - "Leithian, dein Vater-" "Mistad, wir müssen weiter, es kommen noch mehr!" Sie stimmten sich zu und rannten weiter.
Auf dem großen Marktplatz der Stadt sah es furchtbar aus: Kaum noch lebende Menschen, dafür umso mehr Spinnen. Mistad und Uthas bommten sich den Weg frei, als: "Leithian!" Leithian sah sich um. "Vater!" Leithians Vater kümmerte sich um einige Verletzte. "Du musst mir helfen, es sind viele verletzt!" Leithian nickte ihm zu. Doch als er gerade zu anderen Verletzten wollte, merkte er, dass die Spinnen ihn und seinen Vater umstellt hatten. "Leithian, pass auf!" Gerade als eine Spinne sich auf ihn stürzen wollte, sprang Leithians Vater dazwischen und wurde stark verwundet. Leithian trat die Spinne, die rücklings gegen ihre Kumpanen flog und einen Gang frei machte. Leithian sprang hindurch und rannte auf das Haus der Zwillinge zu, die ihrerseits auf andere Spinnen einhämmerten. "Uthas, da vorn, Leithian!" "Warte, Mistad!" Uthas spannte einen Pfeil an und schoss. Doch er blieb im Rücken einer Spinne stecken, ohne zu explodieren.
Leithian lief ins Haus - doch dies erwies sich als ungünstig, hatte es doch keinen Hinterausgang. Die Spinnen fluteten das Haus förmlich. Leithian griff zu einer Holzleiste und schleuderte eine Spinne weg. Er konnte ja nicht ahnen, dass eben diese Spinne mit jenem Blindgänger war. Der Pfeil bohrte sie beim Aufprall durch die Spinne und explodierte. Und Leithian wurde vom Haus begraben.
Als er endlich weder zu sich kam, lag er auf einer Matte in einem fremden Haus. Er sah Mistad neben ihm sitzen. "Hey, du wachst wieder auf! Hast du uns einen Schrecken eingejagt!" Leithian schreckte auf. "Die Spinnen - was ist..." "Ganz ruhig. Sie sind wieder weg. Es war, als hätten sie unsere Stadt nur überrannt, nicht bewusst angegriffen. Sie zogen weiter gen Nordosten." "Vater! Was ist ihm?!" "Leithian...er ist tot. Aber du solltest-" "Ich will ihn sehen." "Ähem, das ist vielleicht keine gute Idee..." "Aber, Mistad, ich..." Mistad reichte ihm einen Spiegel. "Du solltest was wissen." Leithian sah in den Spiegel - und erschrak. "Was zum..." Ein Wesen, halb Wildkatze, halb Mensch, sah ihn an. "Das ist doch unmöglich." "Ich möchte dich daran erinnern, dass du in unserem Haus warst, als die Bombe hochging. Und wer weiß schon, was für Wirkung die Tränke, die dort standen, alle zusammen haben." Ungläubig berührte Leithian seine bepelten Wangen. "Und wie werde ich wieder Mensch?" "Ich habe die Theorie, dass, es ähnlich funktioniert wie unser Chamäleon-Trunk: Man muss sich das Menschsein nur vorstellen." Leithian schloss die Augen und konzentrierte sich. Und als er sie öffnete - war er immer noch so. "Vielleicht must du üben?"
Wenige Tage später standen er, Mistad und Uthas vor den Resten der Stadtmauer. "Du willst sicher gehen?", fragte Uthas. "Ja. Ich will wissen, woher diese Viecher kommen. Und warum sie hier waren." "Dann nimm das mit.", sagte Mistad und überreichte ihm einen Wurfhaken. "Er lässt nicht locker, ähnlich wie du." Sie lächelte unsicher. "Danke." Damit drehte sich Leithian um und lief den Spinnen hinterher richtung Nordosten. Und während seiner Wege lernte er, seine neuen Kräfte ein wenig zu beherrschen...