Rosa hat geschrieben:
Antithese: Mit Privilegien kommt Verantwortung. Wer die Mittel hat zigtausend Menschen zu erreichen, der hat die auch zu nutzen, wenn sein Nationalstaat in Verbrechen verstrickt ist. Perry sollte aber offenbar lieber den Mund halten und vorher ein Buch lesen. Wie das aber die Musik für dich entzaubert kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen. Weil der sich mit sowas profanem wie menschl. Leid beschäftigt? e: Ach du meinst weil das so selektiv geschieht? DCD sind doch nicht amnesty international.
Neinnein, Selektivität ist in diesem Falle nicht einmal mein Problem. Wenn Perry nun noch auf die Idee käme, ähnlich polarisierende - was ja im Grunde nicht schlecht sein muss - Statements zu Syrien und Ukraine abzusondern, damit es nicht mehr selektiv ist, hätte er bald fast nur noch angeödete "Stick to the music"-Nachrichten unter seinen dann wahrscheinlich auch wieder zusammenkopierten Facebook-Posts stehen, von denen gibt es ja schon jetzt einige, und ich würde denen ohne Zögern zustimmen. Das liegt auch nicht daran, dass mir diese Geschichten zu profan wären, aber ich mag ihre Musik schlicht und ergreifend extrem gern und finde es vielleicht auch ein wenig bedauerlich zu sehen, dass die Menge an Fans durch diese lieblos erstellten politischen Copy&Paste-Statements gespalten wird, nur weil sich Perry vor ein paar Tagen endgültig nicht mehr zurückhalten konnte. Kleines Gedankenspiel, Kain: Wärst du auch dieser Ansicht, wenn sich Perry auf die Seite Israels geschlagen hätte? Oder hättest du dir dieses dämliche Angerotze mit Clownshut, das Xhi aus den Edit-Untiefen gerettet hat, dann gespart?

Netter Nachsatz in den Kommentaren übrigens:
Perry hat geschrieben:
We would like to thank everyone for their comments. Even those who clearly did not read or perhaps even understand the intentions of the writer. Ironically the contributors to the thread who merely used it as a vehicle to insult other members and spread yet more nationalist disinformation and propaganda are precisely the people this article was intended for. It's time for a mature debate ...... that's the real message here. So before you continue labelling people as being anti semitic, fascists or terrorists just because they disagree with your viewpoint take a hard look in the mirror and tell us if you really want to be part of the solution or continue to be part of the problem.
Dass er da überhaupt noch den Nerv hat, von "we" zu sprechen.
Xhi hat geschrieben:
Ein paar der trivialsten Beispiele dafür, dass Dead Can Dance auch nie gänzlich unpolitisch waren (allein schon weil Perry garnicht anders kann und in diesem Interview sehr richtig die mannigfaltigen Möglichkeiten des Missbrauchs aufzeigt, die Musik bietet) sind zum einen die Lyrics zu "Black Sun" oder "Amnesia", die jeden durchgenuckelten Dylan-Text mächtig alt aussehen lassen
Sieh mal einer an. Ich empfinde "Amnesia" als das bei weitem schwächste Exemplar aus "Anastasis" und - bedenkt man, was der Mann schon mit seinen Metaphern bei seinen Anhängern für gedankliche Blüten treiben ließ - unendlich banal. Erstaunlich, dass du den DK7-Text aus meinem letzten Tape lächerlich fandest und Perry dann platte Stilblüten wie "If memory is the true sum of who we are, may your children know the truth and shine like the brightest star" durchgehen lässt. Mich schüttelt's da jedes Mal innerlich. Politisch ist das indes sicherlich, da geb ich dir schon recht. Der Unterschied ist: "Amnesia" offenbart eine Sicht, auf das man sich schnell mal einigen kann, weil der Text nichts Konkretes anspricht, sondern beim - dare I say it - Gemeinplatz bleibt. Und das lasse ich ihm inkonsequenterweise auch noch eher durchgehen als irgendeinen lieblos bei Facebook hineinkopierten Sermon, und später den arroganten Nachsatz, dass sein Experiment gelungen sei. Das macht genau nichts besser (90% der Menschen dort machen nichts anderes als ihre vorgefertigte Meinung in den Äther zu blöken) und verwickelt die Band in Diskussionen, die anderswo so viel besser aufgehoben wären. Und dass ich es ohnehin merkwürdig finde, sich in einer Auseinandersetzung zwischen einem perversen Apartheidstaat und Islamisten unkritisch auf eine Seite zu wuchten, darum soll es jetzt nicht gehen, ich wollt's nur erwähnt haben.
Xhi hat geschrieben:
Zum anderen aber die geradezu höllenhafte Atmosphäre, die "The Host Of Seraphim" im Film Baraka den Bildern einer Landschaft von bunt gekleideten, in Müll und Schlamm grabenden Menschen in Indien verleiht, die dann in einem endlos scheinenden Meer von ausgedienten Kampfflugzeugen münden
Den
Ausschnitt aus "Baraka" hab ich schon oft gesehen, und ich lande immer bei folgendem Fazit: audiovisuell unfassbar beeindruckend, aber ebenso unfassbar didaktisch. "Sieh nur, du vollgefressener Erste-Welt-Bewohner, wie dreckig es diesen Menschen geht, auf die wir jetzt nochmal ganz besonders lang die Kamera draufhalten, mit Musik im Hintergrund, die dir wie keine andere vorschreiben kann, was du davon zu halten hast. Jetzt geh dich aber schämen, loslos!" Politisch ist das indes sicherlich, da geb ich dir schon recht. Aber falls es dir entgangen ist, das Stück ist vier Jahre älter als der Film, den Lisa Gerrard außerdem nicht gedreht hat.
Xhi hat geschrieben:
die die Menschen in den Entwertungszentren des Okzidents davon überzeugt, irgendjemand könne in diesem, unserem Teil der Geschichte noch "über den Dingen" stehen.
Jetzt tu mal nicht so - ich behaupte nicht, dass man ununterbrochen so tun sollte/könne, als ob einen die politischen Abgründe dieser Welt gar nichts angingen. Das macht Perry ja auch nicht, das hast du selbst mit "Black Sun" und "Amnesia" gezeigt, aber es macht wohl einen Unterschied, ob er es in seine Kunst verpackt, oder ob er in seinem und Gerrards Namen über den offiziellen Bandkanal eine klare Stellung zu einem aktuellen Konflikt bezieht. Letzteres ist weit unmittelbarer.
Xhi hat geschrieben:
Wenn Perry sagt "No one makes music like us" dann hat er schlicht und ergreifend Recht - ich sehe hier ganz ehrlich gesagt nichts Unsympathisches. Auch ansonsten sind seine Statements zwar kantig, aber wenigstens echt, roh, nicht vorgefertigt - der Mann sagt, was er denkt, und sowas ist rar heutzutage, wird daher auch leider als Arroganz missinterpretiert. Arrogant ist das naive, starrhalsige Gewäsch Gerrards: "I prefer to look at music as a campfire way of communicating the things of the spirit and the heart, not politics." Wirklich Lisa? Eine etwas substanziellere Plattitüde, die du nicht schon in zwei dutzend Interviews formuliert hast (man siehe jenes auf der Towards The Within Live DVD), fiel dir nicht ein? Sorry, das entzaubert. Wer will dieses Blabla von "heart" und "soul" und "deeply touching" und tralala hören? Ich jedenfalls nicht, weshalb ich bei jedem Interview auf's Neue überlege, ob ich es mir überhaupt anschaue.
Ich habe Perry nirgendwo als arrogant bezeichnet, lediglich als Grantscherben, und das mit Recht. Versteh mich nicht falsch, der Interviewer war alles andere als professionell, es war damals, als das Interview gedreht wurde, saumäßig heiß, und ich erkenne Professionalität bei interviewten Künstlern auch nicht daran, dass sie jeder auch noch so oberflächlichen Frage mit einem gekünstelten Lächeln und einer ebenso oberflächlichen Antwort begegnen, wir sind ja hier nicht bei Frauke Ludowig. Trotzdem frage ich mich, ob sich Gerrard hier nicht vielleicht ein klein wenig für ihn geschämt hat - andersrum allerdings auch. Amüsiert habe ich mich allerdings auch, auch wenn ich mich geärgert habe, dass in exakt dem Moment abgeblendet wurde, als Gerrards Kopf bei Perrys erstem F-Wort herumflog - ich hätte zu gern gesehen, wie sie einmal in ihrem Leben diese unberührbare Aura ablegt (das passierte nicht mal
hier bei 0:08, wenn wir schon dabei sind). Und ja, Gerrards Interviews sind oftmals latent befremdlich, da bin ich bei dir.
Was die Entzauberung angeht, muss ich mich - und du dich vielleicht auch - aber ernsthaft fragen, was das Projekt im Endeffekt ausmacht. Sind es denn hauptsächlich die straightforwarden Botschaften, die dir so gefallen, das Rohe, Kantige? Wirklich? Man spricht bei Dead Can Dance ganz gern von einer künstlerischen Yin-Yang-Beziehung der beiden Mitglieder, da haben Perrys Anliegen ebenso viel Platz wie Gerrards esoterisch angehauchtes Interesse an "the heart of things". Der Rest deiner Ausführungen zum Interview liest sich sehr nachvollziehbar und durchdacht, und darum soll es ja im Vordergrund gar nicht gehen, bloß:
Xhi hat geschrieben:
"Who Can Say?"
"Only Time" hieß das Ding.
Xhi hat geschrieben:
Es zählt also, dagegen zu halten.
Die Frage ist nur, auf welche Art und Weise.
Xhi hat geschrieben:
Und nein, ich brauche selbstverständlich keinen politischen Bezug in Musik, schätze es aber trotzdem, wenn Musiker abseits ihrer Kunst noch ein Bein in der düsteren, gesamtgesellschaftlichen Realität unserer Tage haben.
Zu diesem Anlass möchte ich dich gern mit einem last.fm-Zitat konfrontieren (keine Angst, ich bin kein Stalker, es kam mir nur grade zufällig in den Sinn), das mir von dir im Gedächtnis geblieben ist. Es fiel vor vier Jahren zum Thema der religiösen Thematiken von Wovenhand:
Xhi hat geschrieben:
Whether it's faith or politics ... leave this primitive crap out of the perception of music, it's just not worth it. Music is beyond and above this [...]
Ich möchte dir nicht vorwerfen, dass du dir widersprichst, wüsste aber gern, wie du - falls sich deine Meinung nicht inzwischen geändert hat - dieses Zitat mit deinen Aussagen zu diesem Thema in Einklang bringst.