War gestern zum ersten Mal beim Poetry Slam. Ich stand zwar auf der offenen Liste, hatte beim Auslosen jedoch Pech, also konnte ich mir stattdessen sechs andere Teilnehmer zu Gemüte führen. Meine Bilanz, direkt zitiert von meinem Notizzettel:
1x seltsam
2x urschmalzig
1x "politisch" (trololo)
2x lustig (1x mit ohne Witz)
Vortragen konnten nur zwei richtig, von denen einer jedoch seine eigene Handschrift nicht entziffern konnte (und sein Text war den Leuten einfach zu hoch, resp. war er einfach ziemlich inkohärent und somit schwer begreifbar; mir ging's da nicht anders). Mr Schmalz I. und Mr Schmalz II. kamen mit irrational überwältigender Resonanz ins Finale, zusammen mit dem Komiker, meinem persönlichen Favoriten, der als einziger seinen Text vorzutragen verstand, welcher dazu sogar wirklich lustig war. Bei den Fürsten des Schnulzes mußte ich aller paar Zeilen mit dem Kopf schütteln und befürchtete schon ein Halswirbeltrauma, und am Ende bin ich völlig fassungslos nach Hause getrottet, als Mr. Schmalz I. tatsächlich gewonnen hatte. Es war ein unfaßbar schlechter, ungeformter, platter, gewollt düsterer, aber eigentlich nur langweiliger Text, der ab und an Versform annehmen wollte, es aber nur aller paar zwanzig Zeilen schaffte, wenn ein denkbar primitiver Kehrreim auftrat, für den ich, würde er hier im Forum vorgestellt, ohne zu zögern bannen würde. Da ich das dort nicht konnte, beschränkte ich mich auf's Kopfschütteln. Im Finale kam er mit einem praktisch genau gleichen Stück, nur daß er diesmal ein paar der Worte an andere Positionen geschoben hatte, aber insgesamt hatte sich das Niveau nicht gehoben, nicht mal wenigstens verändert, es war einfach nur grauenhaft. Anmerkung dazu: Der Verursacher dieser Fremdscham war mindestens Anfang bis Mitte 30. Und das fand ich erschreckend. Schönste Stilblüte: "abgelegt wie ein altes Paar Schuhe". And I was liek, wtf.
Mr Schmalz II. hatte zwei Kurzgeschichten vorgestammelt, deren Level ich vor sechs, sieben Jahren bereits entwachsen war, und der Typ war nicht jünger als ich. Die zweite Geschichte hätte fast Potential gehabt, hätte nicht er sie geschrieben, sondern jemand mit mehr Talent. Der erste Text war jedoch über alle Maßen flach, handelte von einer Frau, der er seine "Emotionen eröffnen" (O.-Ton!) wollte, während sie aus dem DVD-Regal einen Film aussuchte. Wundervollstes präbubertärstes Gewurste, und so mehr war ich überrascht, wie viele Stimmen (gerade von Frauen) der Typ dafür einheimste. Ich hab' für diese Art Text selten mehr als ein müdes Lächeln bekommen, und das meistens nur von mir selbst, weil ich wenigstens schon vorher wußte, daß ich damit keinen Blumentopf gewinne, geschweige denn irgendwas Wünschenswerteres. Es hat mir fast physisch wehgetan, diesen Bubi da vorn den allerplattesten Pilcher-Verschnitt, für Leute mit kaum mehr als zwei Haaren am Sack, mit mehr Tempo als Ausdruck (ich erinnere mich da gerade an einen Witz über eine Nähmaschine) ablesen zu sehen und wie er für dieses ungewollte Trauerspiel auch noch den zweitgrößten Applaus bekommt. Noch mehr Kopfschütteln. Ich bin gegangen, als die Peinlichkeit größer wurde als das Anstandsgefühl.
Mir kamen dabei ehrliche Zweifel, ob ich mit meinen Texten dort irgendwas gewonnen hätte. Offenbar hatten zwei der Teilnehmer ihre halbe Heimatstadt eingeladen, was die stellenweise belustigten Kommentare zu ihrem Vortrag preisgaben, aber das wäre kein Problem gewesen, wenn dasselbe Publikum wenigstens auch eine Spur ernsthafteren Geschmacks bewiesen hätte. Hat es nicht. Ich werde nächstes Mal dennoch mitmachen. Wenn auch vielleicht nur zur Bestätigung meiner Theorie.
Irgendwelche ähnlichen oder - lieber! - konträren Erfahrungen hierzu?